Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Katholische Poetik

Katholisches Formdenken und Entwürfe katholischer Literatur nach den Weltkriegen

Dr. des. Sebastian Susteck, Christine Lienau

Abstract

Zu den kulturellen Demarkationslinien, die das Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhunderts durchziehen und die heute weitgehend verblasst sind, gehört die Grenze zwischen Protestantismus und Katholizismus. Die nahezu vollständige (Selbst-)Exklusion der Katholiken von gesellschaftlichen Eliten und die „Protestantisierung des öffentlichen Lebens“ (Thomas Ruster) im 19. Jahrhundert prägen die deutsche Gesellschaft ebenso wie die ab ca. 1890 beobachtbaren, 1914 und 1918 je spezifisch erstarkenden katholischen Versuche, neuen Anschluss an die national-liberale Mehrheitskultur herzustellen, die noch in die 1950er Jahre hineinwirken. So intensiv entsprechende Zusammenhänge geschichtswissenschaftlich und soziologisch erforscht werden, so wenig Aufmerksamkeit haben sie in den Literaturwissenschaften erhalten. Dies erstaunt umso mehr, als das katholische Denken in wesentlichen Teilen ein ästhetisches Denken ist, dessen Anziehungskraft auf seinem Beharren auf Form und Ordnung basiert. Das Angebot des Katholizismus ist ein Formangebot, das die Deutung der Geschichte wie die Gestaltung der sozialen Lebenswelt erfasst und damit zugleich den Boden für im engen Sinne künstlerische und literarische Anstrengungen bildet.

Das Projekt möchte das „katholische Bemühen“, nämlich das Bemühen, vom Katholizismus aus kulturbildend zu wirken, als ästhetisches Bemühen erforschen. Es fokussiert dabei die Jahrzehnte nach den Weltkriegen, in denen nicht nur in der Selbstwahrnehmung des katholischen Milieus, sondern in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung eine Aufwertung des Katholizismus stattfindet. Wo in den Weimarer Jahren eine Krise des protestantischen Staates und Staatsgedankens einen Raum zu öffnen scheint, der katholisch gefüllt werden muss, steht nach dem Zweiten Weltkrieg eine deutsche, ja „abendländische“ Katastrophe, die nur noch in heilsgeschichtlichen Kategorien bearbeitet werden kann, welche das katholische Denken zur Verfügung stellt. Dabei bilden sich konzeptuelle Überlagerungen speziell der 1920er und der 1950er Jahre, insofern in letzteren an Weimarer Zeiten angeschlossen wird. Zu leisten ist eine Auseinandersetzung mit den – oft thomistisch inspirierten – Grundprinzipien des katholischen Formdenkens ebenso wie mit den katholischen Literaturprojekten der Zeit, die heute überwiegend vergessen sind und literaturwissenschaftlich kaum Resonanz erfahren haben.

Dabei stellen sich besondere Herausforderungen der Quellenerschließung. Da sich der katholische Diskurs nach 1918 und 1945 wesentlich in Zeitschriften artikuliert und sich dort dialogisch „in Rede und Gegenrede“ (Ulrich Bröckling) entspannt, setzt seine Erforschung eine Übersicht über die Zeitschriftenlandschaft voraus. Zu diesem Zweck wird eine Durchsicht und Indexikalisierung von Zeitschriften, ihrer Autoren, Themen und Debatten geleistet. Beachtet werden die allgemeinen Kulturzeitschriften des Katholizismus ebenso wie die Zeitschriften der katholischen „Bewegungen“ und spezielle literarische Zeitschriftenprojekte des Katholizismus.