Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Eisenfresser, Wohlstandsmüll und unsere globale Verantwortung

Der unmenschlich schwere Alltag von Schiffsabwrackern in Bangladesh ist das Thema des Dokumentarfilms „Eisenfresser“. Für diesen Film erhält Dill-Riaz nun den Adolf-Grimme-Preis 2010 in der Kategorie Information und Kultur. Der Autor habe mit seiner poetischen Kamera archaische Bilder gefunden, die wehtun und lange im Kopf bleiben, begründet die Jury ihre Entscheidung. Wir sprachen mit dem Regisseur, der zurzeit als Fellow im Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz für sein neues Filmprojekt recherchiert, über Wohlstandsmüll, unsere globale Verantwortung und die grenzüberschreitenden Themen seiner Filme.

Ihr Film „Eisenfresser“ zeigt Arbeitsmigranten aus dem Norden Bangladeshs, die unter gefährlichen, menschenunwürdigen Bedingungen im Süden ihres Landes Schiffe zerlegen müssen – ausgebeutet von ortsansässigen Werftbesitzern und einem ausgeklügelten System von Schuldverschreibungen. Ging es Ihnen vorrangig darum, die Missstände vor Ort anzuprangern – oder wollten Sie wirtschaftliche Strukturen von globaler Reichweite kritisieren?

Regisseur Shaheen Dill-Riaz sieht bei bei der Arbeit an Eisenfresser in die Kamera.
Regisseur Shaheen Dill-Riaz bei der Arbeit an Eisenfresser. Foto: Lemme Film

Beides! In erster Linie ging es mir darum, die erbärmlichen Zustände in diesen Werften zu zeigen. Wir hatten eine einmalige Chance, das alles zu filmen. Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass wir die Drehgenehmigung der Bangladesh Shipbreakers Association (BSBA) überhaupt bekamen.

Ich hatte aber auch eine erzählerische Intention: Ich wollte zeigen, dass die sozialen Verhältnisse in den Werften einer feudalistischen Gesellschaft gleichen. Diese Werften sind durch und durch hierarchisch organisiert. Ganz einfache Menschen, Bauern aus dem Norden, werden gezielt ausgesucht, weil sie so verzweifelt sind, dass sie sich etwas Schlimmeres als Verhungern nicht vorstellen können. Daher sind sie bereit, Risiken und Mühsal auf sich zu nehmen: Man bedient sich also ganz einfacher Menschen, um diese Schiffe, Produkte modernster Technik, mit den primitivsten Mitteln auseinanderzunehmen.

In der Kulisse der bengalischen Abwrackwerft begegnet man einer universellen Haltung, einem ausbeuterischen System, sozialen Strukturen von einer globalen Dimension.

Nun wird hier am Exzellenzcluster u.a. erforscht, wie gesellschaftliche Ordnung entsteht, sich festigt oder aber zerstört wird, zerfällt. Können wir an den von Ihnen gezeigten Zuständen nicht auch ablesen, wie eine solche Ordnung in Gang gehalten wird, im Großen wie im Kleinen?

Foto: Lemme Film

Der Film passt gut zum Thema des Exzellenzclusters, gerade wegen der angesprochenen universellen Ebene. Er untersucht, wie dieser Mikrokosmos auf einer Werft, wo Tausende von Menschen arbeiten, funktioniert. Innerhalb von etwa 40 Jahren hat das System, das die Menschen dort einführten, eine solide Struktur angenommen: Da hat jeder seine Funktion und auch seinen Platz, jeweils eindeutig zugeordnet in der Gesamthierarchie des Gebildes.

Das Individuum ist auf der Werft unbedeutend; viel wichtiger ist die Gruppe, der man angehört. Mit ihr identifiziert man sich. Fragt man einen Arbeiter, wer er ist, antwortet er: „Ich bin Seilträger.“ Oder Plattenträger oder Gascutter... Und so sehen diese Menschen auch ihre mächtigen Bosse als Vorarbeiter‚ Contractors oder Werftbesitzer. Eine Gemeinschaft im Sinne einer zivilen Gesellschaft gibt es nicht. Die Gruppen sprechen kaum miteinander; Befehle und Übergriffe prägen das Bild.

Man sieht aber sehr deutlich, wie ein Einzelner an dieser Struktur leidet oder wie ein Anderer genau aus dieser Struktur seine Vorteile zieht. Allerdings spricht „Eisenfresser“ nichts explizit aus. Der Film macht seine Aussagen unterschwellig. Vieles muss man zwischen den Zeilen lesen.

Mich freut es besonders, dass die Jury dies ausdrücklich in ihrer Begründung erwähnt hat, dass die Zuschauer zwar – über meinen Kommentar – mit den wichtigen Fakten vertraut gemacht werden, z.B. mit der sozialen Situation der Landarbeiter. Wichtiger fand die Jury aber, dass es die Bilder sind, die im Kopf bleiben und die zeigen, dass das Wort Wohlstandsmüll eine ziemlich brutale Verharmlosung dessen ist, was diesen Menschen zugemutet wird.

Sie sprechen die Rolle der Industrienationen an, die „Produzenten“ der Schiffwracks. „Eisenfresser“ kritisiert das eigennützige Vorgehen der Ersten Welt, die sich der Dritten Welt als Müllhalde bedient und dabei die Rechte der involvierten Menschen ebenso wenig achtet wie die möglichen Risiken, die für diese entstehen.

Ja, diese globale Verantwortung zu zeigen, lag mir besonders am Herzen! Es ist höchste Zeit anzuerkennen, dass wir verantwortlich sind für die Ausbeutung der Ärmsten. Jeder von uns hat eine Verantwortung gegenüber diesen Menschen, die mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass der Kreislauf der Weltwirtschaft in Schwung bleibt. Wenn er zusammenbricht, hat das Konsequenzen für uns alle.

Männer holen Fässer aus dem Wasser
Foto: Lemme Film

Übrigens gibt es in sämtlichen anderen Industriezweigen Parallelen zur Situation in den Schiffswerften. Nehmen Sie den schleichenden Tod von Textilarbeiterinnen, nicht selten von ihrer Kindheit an. Die Wirtschaft übt einen enormen Druck aus, und dieser Druck – zumindest sehe ich das so – lastet auf den Schultern dieser Menschen.

Daher lautet mein Appell: Wir müssen unsere Einstellung ändern und endlich die Verantwortung dafür übernehmen: Das sind unsere Arbeiter, also nicht irgendwelche Leute fernab, die uns nichts angehen. Diese Menschen arbeiten für unsere Bequemlichkeit.

Wollten Sie mit Ihrem Film etwas an den bestehenden Verhältnissen vor Ort verändern?

Jeder Künstler will doch eine bestimmte Wirkung erzielen! Dabei geht es mir nicht um Preise für meine Filme – auch wenn ich mich darüber sehr freue –, sondern darum, etwas zu bewegen, vor allem Menschen zu bewegen.

Es freut mich natürlich, wenn meine Filme gesellschaftlich oder politisch etwas bewirken, das ist aber so nicht vorhersehbar.

Beispielsweise reichte die Bangladesh Environmental Law Association (BELA) vorletztes Jahr eine Klage gegen die Werften ein. Diese hätten gegen Landesgesetze und Umweltschutzrichtlinien verstoßen. „Eisenfresser“ wurde für die Beweisführung verwendet und von den zuständigen Richtern auch als bedeutendes Beweismittel gewertet. Das Urteil des Gerichts verlangte dann von den Werften, innerhalb von zwei Wochen die Arbeit einzustellen und diese erst wieder aufzunehmen, wenn sie das Umweltzertifikat der bengalischen Regierung vorweisen konnten. Das zeigte zunächst Wirkung, doch die Werften gingen in Revision. Jetzt liegt der Fall dem Supreme Court vor.

Oder ein anderes Beispiel: „Eisenfresser“ wurde vor einiger Zeit im Europaparlament gezeigt. Stavros Dimas, der damalige Umweltkommissar der EU, hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Europa Druck auf Länder ausübt, in denen die Abwrackindustrie Umweltauflagen, Arbeiterrechte und Menschenrechte missachtet.

Szene mit Schiffswracks am Morgen
Foto: Lemme Film

Bangladesh ist der Hauptschauplatz Ihrer Filme. Wie beeinflusst Ihre Heimat Ihre Arbeit, z.B. bei der Auswahl Ihrer Themen?

Ich habe die ersten 23 Jahre meines Lebens in Bangladesh verbracht, doch seit inzwischen 18 Jahren lebe ich in Deutschland. Mittlerweile betrachte ich dieses Land als meine Heimat. Meine Wurzeln liegen aber in Bangladesh. Und als ich 2002 meinen ersten Dokumentarfilm „Sand und Wasser“ machte, wollte ich über etwas drehen, das ich wirklich gut kenne. Ich wuchs in der Gegend auf, in der sich die Schiffswerften befinden – ähnlich wie die in „Eisenfresser“. Sie waren eine Welt für sich, in die wir keinen Einblick hatten. Für uns Kinder glichen sie deshalb einem Mysterium. Den Vorhang konnte ich mit dem Film ein wenig lüften.

Aber was mir sehr wichtig ist: die Themen, die meine Filme behandeln, hören nicht an den Landesgrenzen auf. Andernfalls würde sich in Europa wohl niemand für meine Filme interessieren. Ich versuche immer, eine Kernaussage zu treffen, die von allgemein globalem Interesse ist: Von Konzepten menschlichen Glücks in „Die glücklichsten Menschen der Welt“ bis hin zu Auswirkungen des Klimawandels in meinem aktuellen Filmprojekt „The Drowning World“.

Das Gespräch führte Claudia Marion Voigtmann.

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Shaheen Dill-Riaz

Pressemitteilung

Grimme-Preis 2010 für Dill-Riaz

Filmplakat
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