Ein Land auf der Suche nach seiner Zukunft und sich selbst
Eine Forschungsreise in das Kosovo zehn Jahre nach Kriegsende
von Jojo Duin
Auf die Frage hin, was der Beitrag der UN-Verwaltung UNMIK zum Friedensprozess im Kosovo war, antwortet Glauk Konjufca deutlich.: „Es gab keinen.“ UNMIKs Verdienst sei es gewesen, einen Befreiungskrieg in einen Bürgerkrieg zu transformieren. Glauk, Student und Mitglied der Jugendbewegung „Vetevendosje“ (albanisch: Selbstbestimmung), liebt klare Aussagen wie diese. Er ist sich seiner Sache sicher, antwortet in kurzen Hosen auf die Fragen der Gruppe gleichaltriger Schlipsträger aus Deutschland. Glauk widmet seine Freizeit der Gruppe, die im Kosovo um politische Mitsprache ringt. Sein farbenfrohes T-Shirt könnte leicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um eine ernste Sache handelt. Rumänische KFOR-Soldaten erschossen auf Demonstrationen im Sommer 2007 zwei junge Aktivisten, 82 weitere wurden verletzt. Die Soldaten flog man in ihre Heimat aus ‒ belangt wurden sie nie.
Klare Feindbilder
Der Führer von Vetevendosje, Albin Kurti, muss den Kosovo immer wieder verlassen, weil er wegen seiner politischen Umtriebe polizeilich gesucht wird. Kurti ist überzeugt, die Organisation könne die politische Apathie im Kosovo nur mit militanten Mitteln bekämpfen. Überall in Pristina sieht man die Graffiti mit politischen Slogans (z.B. „EULEX – Made in Serbia“) ‒ die besprühten und demolierten Fahrzeuge der EU und der UNO werden diskret ausgewechselt.
Das Gespräch mit ihm gestaltet sich schwieriger als das mit Glauk, wirkt er doch dogmatischer; sein Vokabular pendelt zwischen Basisdemokratie und Nationalismus. Vetevendosje geht es um Selbstbestimmung und ein Ende der Bevormundung durch die internationale Verwaltung. Selbstbestimmung wird bei Kurti oft mit einer kosovarischen Armee gleichgesetzt. Die Feindbilder sind klar: Internationale, serbische, aber auch kosovo-albanische Politiker. Das Establishment. Zurzeit geht es um die Verhinderung der geplanten Dezentralisierungs-Maßnahmen, die für Vetevendosje eine territoriale Zerstückelung des Kosovo zugunsten unabhängiger serbischer Provinzen bedeutet. Viele im Kosovo sehen darin eine Institutionalisierung der ethnischen Spaltung.
Kosovarisches Radio ohne politische Agenda
Die ethnische Spaltung ist für die beiden Mitarbeiter des serbischen Radiosenders KiM, die die Gruppe aus Konstanz zum Dialog in ihren Sender eingeladen haben, längst unüberwindbar. Das sympathische Duo fristet sein Dasein in den schmucklosen Räumen des Senders in der serbischen Enklave Caglavica, ungefähr eine halbe Autostunde vom Zentrum Pristinas entfernt.
Eine Teilnahme am kulturellen Leben in Pristina ist ihnen nach eigener Aussage nicht möglich, denn dort würden sie als Serben nicht akzeptiert. Ihre Mission ist die Verbreitung von Nachrichten für ethnische Serben im Kosovo, ihre Hörerschaft geben sie mit 40 000 an. Nach dem Krieg kamen die einzigen Informationen für Serben aus Belgrad ‒ mit entsprechend einseitigem Gehalt. Serbien erkennt das Kosovo nicht an, daher zielte Belgrads Einflussnahme auf die serbische Minderheit im Kosovo lange Zeit auf Aufruhr statt Aussöhnung ab. Die neue moderate Regierung in Belgrad aber stimmt viele Beobachter hoffnungsvoll.
Radio KiM bekennt sich zu keiner politischen Agenda. Dabei gibt es im Kosovo nur wenige, die keine politischen Ziele verfolgen. Vor allem gibt es kein Geld ohne politischen Ballast. Dies gilt auch für die internationale Gemeinschaft im Kosovo. Für Radio KiM ist die Sache einfach: UNMIK habe bloß reagiert, wenn es zu handfesten Konflikten zwischen den Ethnien kam. Eine Strategie zur Versöhnung habe es nicht gegeben. Es habe keine Agenda für freie Presse gegeben, kein Bekenntnis zur Pressefreiheit. Die Moderatoren bemerken spöttisch, dass UNMIK trotz aller Vorsätze niemanden verändert habe, die UNMIK-Mitarbeiter jedoch hätten die Gewohnheiten des Balkans schnell angenommen.
Internationale Organisationen verändern das Kosovo
Die Internationalen prägen das Stadtbild in Pristina. Überall sind die verschiedenen Organisationen präsent. UNMIK, EU, OSCE, ICO und etliche NGOs beschäftigen Europäer und Amerikaner, mit den gewohnten Auswirkungen auf das städtische Leben. Teure Cafés und große Autos, schicke Restaurants und Nachtclubs allerorts. Das Kosovo ist ein beliebter Arbeitsplatz. Im Vergleich zu anderen Konfliktgebieten ist es sicher, die Bezahlung gut, die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Ein Direktflug nach Zürich dauert keine Stunde und die griechische Küste ist schnell zu erreichen. Mit einem Gehaltsscheck aus Brüssel oder New York lässt es sich hier bequem leben.
Hintergrund
Über die Hälfte der ca. 2 Mio. Bewohner des Kosovo ist unter 25 Jahre alt. Die Arbeitslosenquote unter den jungen Menschen liegt bei ca. 60 Prozent. Die wirtschaftliche Entwicklung und der Perspektivenmangel für die Jugend sind die größten Probleme im Kosovo. Seit der Unabhängigkeit sind Arbeitslosigkeit und Angst vor Armut die dominierenden Themen im Leben der Kosovaren.
Während die NATO dem Kosovo eine stabile Zukunft prognostiziert, entspannt sich das Verhältnis zwischen Serben und Albanern nur langsam. Zu frisch sind die Erinnerungen an den Krieg und an die Unruhen vom März 2004. Damals hatten radikale albanische Gruppen gewaltsam gegen Serben im Kosovo protestiert, 19 Menschen wurden innerhalb von zwei Tagen getötet, über 4000 Serben vertrieben.
Große Herausforderungen für die Jugend des Kosovo
Viele junge Albaner teilen das Freizeitangebot mit den Internationalen. Die Clubs sind gut besucht, es wird ausgelassen gefeiert. Man kann schließlich nicht den ganzen Tag politisch sein. Der Teil der jungen Leute, der sich das leisten kann, genießt häufig eine Reihe weiterer Annehmlichkeiten, z.B. ein Studium an der American University Kosovo (AUK), die primär durch die kosovarische Diaspora in den USA finanziert wird. Es gibt eine junge Elite, der die hohe Arbeitslosigkeit wenig Angst macht. Abschlüsse an der AUK in Public Policy oder Economics sind teurer als die der chronisch unterfinanzierten staatlichen Universität, aber es sind sichere Wege ins Arbeitsleben. Die Karrierewünsche der Studierenden sind klar: Arbeiten für eine internationale Organisation oder ein internationales Unternehmen. Dieser Nachwuchs will Karriere machen und ist, so zumindest der Eindruck, wenig an Politik interessiert. Sie werden das Kosovo in Zukunft mitgestalten. Wessen Vorstellungen dann umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
Die jungen Menschen, die die Zukunft des Kosovo verkörpern, stehen vor großen Herausforderungen. Auf der einen Seite ist die ethnische Spaltung nicht überwunden. Auf der anderen Seite verstärken sich soziale Unterschiede, vor allem innerhalb der albanischen Gemeinschaft. Die serbische Minderheit nimmt ohnehin kaum am kosovarischen Wirtschaftsleben teil ‒ sie bleibt abhängig von den Almosen Serbiens.
Noch schlechter geht es den Minderheiten, die keine politische Unterstützung erhalten, z.B. den Roma und Askhali. Eine vorsichtige Prognose verspricht für die kommenden Jahre den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg einer kleinen Funktionärselite. Die heute politisch Aktiven werden dabei kaum Gehör finden, stehen ihre Ideale doch im Konflikt mit den standardisierten Karrierewegen. Außerdem kommt die notwendige Ausbildung nur denen zugute, die es sich leisten können.
Was aus Glauk Konjufca wird, ist schwer absehbar. Im Vergleich zu seinen privilegierten Altersgenossen ist er zu wenig angepasst um Karriere machen zu können und besucht zudem nur eine staatliche Universität. Er ist jedoch zweifelsohne ein charismatischer Mensch. Was ihn und seine Mitstreiter auszeichnet, sind eigene Ideen und der Wille diese umzusetzten, abseits von gescheiterten und standardisierten Entwicklungsperspektiven über die Zukunft des Kosovo nachzudenken. Welche Tugenden im Kosovo zukünftig belohnt werden sollen, ist aber wohl schon entschieden worden. Nicht in Pristina, sondern in Brüssel und New York.