Im Widerspruch zwischen Künstlerin und Mutter
Von Sigrid Elmer
Wie kamen Sie auf das Thema Ihrer Serie bzw. auf die Idee, sich nackt mit Ihren Kindern fotografieren zu lassen?
Für mich war die Erfahrung, Mutter zu werden, eine sehr umwälzende , auf die ich mich auch gar nicht vorbereitet fühlte. Ich habe da einen gewissen Widerspruch gespürt zwischen der beruflichen Erfahrung, die ich hatte (ich bin ja erst mit 35 Mutter geworden, d.h. ich hatte eine lange berufliche Karriere hinter mir) und der Erfahrung, Mutter zu werden, die ganz andere Qualitäten von mir forderte, als es das berufliche Leben tut und die auch teilweise im Widerspruch zu dem stehen, was man sonst so zu leisten hat.
Ich hatte dann das Gefühl, dass sehr wenig darüber gesprochen wird und dass die Mutterbilder, die einem von der Gesellschaft angeboten werden, sehr begrenzt sind und auch oft einen sehr verklärenden Charakter haben. Zudem hatte ich den Eindruck, dass es ein gewisses Bedürfnis gibt, alle anderen Gefühle – die sowohl positiver (leidenschaftliche Verliebtheit in das Kind) sein können als die dargestellten, als auch negativer (Erschöpfung, Müdigkeit, Wut, Traurigkeit), und die Heftigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit dieser Gefühle – sehr wenig thematisiert werden. Das fand ich erschreckend, weil einfach sehr viele Frauen Mütter werden und sehr viele Frauen diese Erfahrung durchlebt haben müssen. Ich fand, es gibt sehr wenig Diskurs darüber.
Warum wollten Sie sich selbst und mit Ihren Kindern in Ihrer Fotoserie portraitieren? Wären die Bilder auch mit Models denkbar gewesen?
Das hat etwas mit meinem Verständnis von Fotografie zu tun. Als Fotografin hinter der Kamera habe ich ein gewisses Maß an Kontrolle und Macht über die Person, die ich darstelle. In dem Fall war es für mich wichtig, das Verhältnis anders zu lösen, dass ich einerseits die Person war, die das Bild konzipiert hat, aber andererseits die Person, die ihren Körper als Projektionsfläche für den Betrachter zur Verfügung gestellt hat.
Warum haben Sie die Bilder vor wechselnden Naturkulissen inszeniert? Welche Funktion hat die jeweilige Naturkulisse?
Die Natur spielt eine Rolle, weil sie ein symbolischer Ort ist, ein surrealer Ort.
Das ist erstmal eine Entfremdung, also ein Herauslösen aus dem Kontext, in dem üblicherweise über Mutterschaft diskutiert wird. Normalerweise geht es um die sozialen Verhältnisse von Müttern, was auch wichtig ist, aber in meiner Fotoserie geht es um etwas viel Ursprünglicheres. Deshalb spielt die Natur eine Rolle, weil es ein symbolischer Ort ist, ein surrealer Ort. Es ist ganz klar, dass es eine Inszenierung ist und nicht ein Abbild unseres Alltags. Und gleichzeitig ist es ein Ort, der mit dieser Körperlichkeit kommuniziert, weil der Körper natürlich auch Natur ist.
Inwiefern besteht für Sie ein Zusammenhang zwischen dem kreativen Schaffensprozess und dem der biologischen Reproduktion und wie fassen Sie das Spannungsverhältnis von Mutterschaft und künstlerischer Tätigkeit in Ihren Bildern?
Das hat unterschiedliche Ebenen. Ich denke, dass ich für mich persönlich aus der gleichen Leidenschaft heraus meine Kinder großziehe und meine Bilder mache. Das ist für mich ganz nah beieinander. Und ich habe da keinen Widerspruch.
Organisatorisch habe ich mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie alle Mütter. Aber was mich am meisten für die Serie interessiert hat, ist das Bild eines Künstlers, das männlich ist. Wir haben eigentlich nicht das Bild einer Künstlerin, sondern es ist immer ein Mann. Es ist jemand, der tendenziell außerhalb der Gesellschaft steht, der für sich die Dinge der Gesellschaft in Frage stellt, der sich einen Freiraum nimmt, den andere Männer, die Funktionsträger innerhalb der Gesellschaft sind, sich so nicht herausnehmen können. Das Bild der Mutter ist genau entgegengesetzt: Die Mutter ist jemand, die stabilisiert, die die Ordnung aufrecht erhält, die Werte vermittelt und sehr stark für die Gesellschaft instrumentalisiert wird. Diese beiden Bilder vereinen sich in mir als Person, wodurch es einen sehr starken Widerspruch gibt – das fand ich sehr interessant.
Haben Ihre Bilder „Vorbilder“ in der Kultur- und Kunstgeschichte? Formulieren Sie mit Ihren Bildern einen fotografischen Kommentar zu Mutterbildern, die in unserer Gesellschaft vorhanden sind?
Ich glaube, dass die Bilder, die im Moment in der deutschen Gesellschaft vorherrschen, zu 90 Prozent negativ sind und dass es nur sehr wenige positive Mutterbilder gibt und diese positiven Mutterbilder sind sehr eingeschränkt und oft verklärend. Es ist zum einen das christliche Bild der Heiligen Mutter und zum anderen das der bürgerlichen Mutter, die die Werte vermittelt und die Gesellschaft stabilisiert. Ich finde, dass keines von beiden mit der Realität von Mutterschaft übereinstimmt.
In meinen Bildern gibt es sehr viele Anspielungen auf Mariendarstellungen. Das beruht darauf, dass Maria die in der Kunstgeschichte am häufigsten dargestellte Mutter ist. Selbst wenn man das als Künstlerin gar nicht bewusst wiederholen möchte, kann man dem nicht entkommen.
Mir ist es wichtig, überhaupt eine Diskussion über das Mutterbild anzustoßen und eine größere Komplexität zuzulassen.
Welche Botschaft wollen Sie mit Ihrer Werkserie vermitteln?
Was mir wichtig wäre, ist die Begrenztheit von Mutterbildern aufzubrechen. Ich bin mir bewusst, dass die Bilder, die ich gemacht habe, nicht unbedingt für die Erfahrungen von anderen Frauen stehen, die Mütter werden. Mir ist es wichtig, überhaupt eine Diskussion über das Mutterbild anzustoßen und eine größere Komplexität zuzulassen.
Wenn man die Widersprüchlichkeit von Mutterschaft zulassen und stärker diskutieren würde und auch Frauen mehr erlauben würde, wenn dadurch ein Teil dieser Sprachlosigkeit oder Einsamkeit genommen würde, die man als Mutter erleben kann, dann wäre es das , was ich mir wünschen würde.
Wie hat die Kunstszene einerseits, Ihr Familien- und Bekanntenkreis andererseits auf die Bilder reagiert – schließlich geben Sie darin sehr viel Intimes und Privates preis?
Ich denke, dass man auf die Serie sehr stark aus einem Bauchgefühl heraus reagiert, weil die Beziehung zur Mutter eine ganz urpersönliche Thematik für jeden ist. Es sind sehr gemischte Reaktionen, die ich bekomme, und sie haben sehr viel mit der persönlichen Erfahrung des Betrachters zu tun. Viele Menschen haben mir berichtet, dass sich die Einstellung verändert hat, wenn sie die Bilder öfter gesehen haben. Ich denke schon, dass die Bilder auch an Tabus rühren, die sehr stark existieren. Das hat natürlich zur Folge, dass es für manche Menschen nicht unbedingt angenehm ist, die Bilder anzuschauen. Es gibt aber auch viele Leute (auch ohne Kinder), für die das ganz toll ist. Ich habe die Bilder nicht gemacht, um zu provozieren, aber das kann natürlich auch passieren.
Was antworten Sie Ihren Kindern, wenn die Sie einmal fragen, warum Sie sich mit ihnen haben nackt fotografieren lassen?
Dann würde ich sagen, dass mein Körper ihr erstes Zuhause war und dass sie, als sie Babys waren, ganz nah an meinem nackten Körper sein wollten und von den Brüsten trinken, auf dem Bauch liegen und in meinen Armen sein wollten.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Bilderserie einen Beitrag leisten können, dass das Rollenbild der Mutter und das der Künstlerin in unserer Gesellschaft verbessert werden?
Ja, das glaube ich, da bin ich Optimistin. Es ist eine Reaktion darauf, dass es viele Künstlerinnen gibt, die keine Kinder haben und dass es generell als nicht sehr karrierefördernd angesehen wird, wenn man als Künstlerin Kinder hat. Das wollte ich mit meiner Werkserie zur Diskussion bringen.
Pressemitteilung
Eröffnung der Ausstellung „A Portrait of the Artist as a Young Mother“ von Katharina Bosse, 20. April bis 27. Mai 2012 im Gewölbekeller des Konstanzer Kulturzentrums am Münster
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