Gut gemeint
Die Verschiebung der Semesterzeiten hat unerwünschte Nebenwirkungen – für Schüler, Studenten und die Wissenschaft
von Albrecht Koschorke
Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Auf Betreiben der Hochschulrektorenkonferenz sollen die Semesterzeiten an deutschen Hochschulen vorverlegt werden. Das neue Herbstsemester soll nun Anfang September statt Mitte Oktober beginnen, das Sommersemester Anfang März statt Mitte April. Man will sich, so heißt es, der Semestertaktung der meisten Nachbarländer anpassen und so einen Beitrag zur europäischen „Harmonisierung“ leisten. Ursprünglich war diese Umstellung für 2010 vorgesehen, jetzt erhalten die unter der Last permanenter Reformen ächzenden Universitäten noch eine Gnadenfrist bis 2011.
Was heißt das konkret – außer dass Hochschulangehörige für ihre Sommerferien nicht mehr in den Genuss der Nachsaison kommen? Da die neuen B.A.-Studiengänge mit aufwendigen Auswahlverfahren verbunden sind, werden sich entsprechend die Fristen für die Zulassung zum Studium verschieben. Es wird nicht mehr reichen, sich erst nach dem Abitur um einen Studienplatz zu bewerben. Grundlage zumindest für die vorläufige Bewerbung wird nicht mehr die Abiturnote sein, sondern das letzte Halbjahreszeugnis – eine schleichende Entwertung des Abiturs.
Abiturienten müssen sich künftig mitten in der heißesten Lernphase bewerben.
In der Praxis läuft dies darauf hinaus, dass Abiturienten, die noch über ihrer Facharbeit brüten und für die Abiturprüfungen lernen, sich gleichzeitig mit Bewerbungsformalitäten beschäftigen müssen – falls sie überhaupt schon wissen, was und wo sie studieren wollen. Darüber dürfen sie jedenfalls nicht erst nach den Prüfungen nachdenken, sondern mitten in der heißesten Lernphase. Schließlich ist durch die Umstellung auf das B.A.-System die Studienlandschaft erheblich unübersichtlicher geworden. Statt der alten Disziplinen gibt es unzählige neue Studienprogramme, die sich gerade durch ihre Besonderheiten zu überbieten versuchen. Da reicht es nicht mehr, sich eine Lieblingsstadt auszusuchen und ein paar Formulare schicken zu lassen.
Hinzu kommt, dass – jedenfalls in Bayern – ausgerechnet 2011 die ersten Schüler des auf acht Jahre verkürzten Gymnasiums fertig werden. Sie haben also nicht nur insgesamt ein Jahr weniger Zeit, sondern müssen sich schon im Frühjahr über ihren künftigen Berufsweg klar werden. Solche Entscheidungen werden dann im Durchschnitt von Siebzehnjährigen getroffen, die ihr Abiturzeugnis noch gar nicht in Händen haben.
Das deutsche B.A.-System verlangt von Anfang an große Selbständigkeit und eine frühe Spezialisierung.
Hier macht sich zudem bemerkbar, dass das B.A.-System in Deutschland sich zwar dem Namen nach an das angelsächsische Vorbild anlehnt, aber ganz anders gestaltet ist. In den USA gehen Schulabsolventen auf ein College, in dem sie ein breites Spektrum von Überblickskursen und Wahlfächern vorfinden. In Deutschland wurde das britisch-amerikanische B.A.-System auf den Kopf gestellt: Es verlangt von Anfang an große Selbständigkeit und eine frühe Spezialisierung; fachliche Erweiterungen lässt es weitgehend erst auf M.A.-Niveau zu. Umso größer ist das Gewicht der Entscheidung, die die Schulabgänger zu treffen haben.
Womit begründet die Hochschulrektorenkonferenz – übrigens gegen den Willen der großen Mehrheit der Hochschullehrer – ihre Initiative, deren Auswirkungen bis in die Gymnasien reichen? Es heißt, durch die Angleichung der deutschen Semesterzeiten werde die Internationalisierung gefördert. Studierende, die aus dem Ausland kommen oder ins Ausland gehen wollen, werde durch das späte deutsche Semester bisher der Wechsel erschwert.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Bologna-Prozess die studentische Mobilität in Europa behindert, statt sie zu fördern.
Allerdings nennen die Initiatoren keine Zahlen, um die Dringlichkeit der Maßnahme zu untermauern. Angesichts der vielen hochschulplanerischen Maßnahmen der letzten Jahre, die auf schwankender Grundlage beschlossen wurden und am Ende ihr Ziel verfehlt haben, wäre wenigstens das zu erwarten gewesen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Bologna-Prozess, der alle Mitgliedsländer auf ein vergleichbares Studiensystem verpflichtet, ganz gegen alle Absichtserklärungen die studentische Mobilität in Europa tatsächlich nicht fördert, sondern behindert. Zwar haben alle Länder das gleiche System von zu erwerbenden credit points, aber in der Anerkennung von Leistungsnachweisen gehen sie weit auseinander. Das B.A.-System ist also ein Beispiel dafür, dass bürokratische Angleichungsmaßnahmen die Dinge komplizierter statt einfacher machen können – ein Effekt, den Sozialwissenschaftler als „nichtintendierte Folgen institutionellen Handelns“ beschreiben.
Genau diesen Effekt wird auch die Verschiebung der Semesterzeiten nach sich ziehen. Bisher kommt nämlich der Internationalisierung der deutschen Hochschulen zugute, dass der akademische Kalender in Deutschland gerade nicht wie in anderen Ländern getaktet ist. Deshalb können deutsche Wissenschaftler im März und September zu Gastprofessuren etwa in die USA reisen, ohne ihre Lehrverpflichtungen zu Hause zu beeinträchtigen. Und umgekehrt kommen Professoren und Doktoranden aus Amerika vorzugsweise im Juni oder Juli nach Deutschland, wenn sie zu Hause Ferien haben, halten Gastseminare ab und nehmen am akademischen Leben teil. Ganze Austauschprogramme, mit großem Engagement in Gang gebracht und durch Steuergelder mit beträchtlichen Summen gefördert, beruhen auf diesem einfachen Prinzip. Sie werden mit einem Schlag hinfällig, wenn die Semester künftig synchron geschaltet sind.
In einer Pressemitteilung der Hochschulrektorenkonferenz zur geplanten „Harmonisierung“ der Vorlesungszeiten findet sich dazu nur der Satz: „Die Dozentenmobilität ist über Kooperationen und Austauschprogramme zu sichern.“ Ein paradoxer Bescheid, denn genau das war bisher die erfolgreiche Praxis und wird nun massiv erschwert werden.