Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Bella Germania, schönes Deutschland – Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Drehbuchautor Daniel Speck gewährt Einblicke in seinen ersten Roman, den er zurzeit am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz schreibt. Ein Interview

Was fasziniert Sie an dem Thema „Integration“?

Die Begegnung mit anderen Kulturen hat mich immer interessiert. Ich bin in einer multikulturellen Familie aufgewachsen und habe einen internationalen Freundeskreis. Zwei Jahre habe ich in Rom gelebt und studiert, was bei mir eine große Liebe zu Italien ausgelöst hat, und insbesondere zum italienischen Film. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.

Daniel Speck

Daniel Speck wurde durch die Drehbücher der Filme „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ und „Meine verrückte türkische Hochzeit“ deutschlandweit bekannt. Seinen Aufenthalt am Kulturwissenschaftlichen Kolleg vom Mai 2014 bis September 2015 nutzt er, um an seinem neuen Projekt – und erstem Roman – „Bella Germania“ zu schreiben, der 2016 im Buchhandel erscheint.

Es gibt aber auch eine einfache dramaturgische Erklärung: Starke Geschichten brauchen starke Konflikte. Wenn Menschen aus Milieus mit unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Moralvorstellungen sich begegnen, entsteht emotionale Reibung. Außerdem ist das Thema Integration brandaktuell. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen gab es weltweit noch nie so viele Migranten und Flüchtlinge wie heute.

Vor 60 Jahren unterzeichneten Deutschland und Italien das erste Gastarbeiter-Anwerbeabkommen. Ist „Bella Germania“ eine Gastarbeitergeschichte?

Bella Germania erzählt eine deutsch-italienische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Gastarbeiterzeit von der Unterzeichnung des ersten Anwerbeabkommens 1955 bis zum Anwerbestopp 1973 und darüber hinaus bis heute. Es geht darum, wie die Erfahrung von Auswanderung, Fremdheit und Integration drei Generationen geprägt hat, welche seelischen Wunden dabei entstanden und wie sie geheilt werden. Wie die Einwanderer unser Land und wie unser Land die Einwanderer geprägt hat.

Die erzählte Zeit beginnt in den 1950er Jahren, als die Deutschen in romantisch verklärter Italiensehnsucht schwelgten und das Land jenseits der Alpen noch etwas Exotisches hatte. Sie endet im vereinten Europa der Gegenwart. Am Ende steht eine neue „Gastarbeitergeneration“, die auch als Generation „Mille Euro“ bezeichnet wird. Junge Italiener, die aufgrund der neuen südeuropäischen Wirtschaftskrise zu internationalen Arbeitsnomaden werden.

Der Part, den ich in der Konstanzer Lesung vortragen werde, spielt in den 50er Jahren, als das Wirtschaftswunder-Deutschland eine aktive Anwerbepolitik betrieb und mit Werbefilmen in der „Wochenschau“ um Arbeitskräfte aus Süditalien warb. Der Sizilianer Giovanni, Zwillingsbruder der Protagonistin Giulietta, ist einer der ersten Pioniere, die ihr Glück im Norden suchen. Er arbeitet sich im Laufe der Geschichte von ganz unten, als einfache Hilfskraft auf dem Münchner Großmarkt, zum selbständigen Lebensmittelhändler hoch, der heute ganz selbstverständlich integriert ist. Seine Kinder sprechen besser Deutsch als Italienisch und heiraten deutsche Partner. Seine Münchner Kunden, die in den 60ern noch nicht wussten, was eine Mozzarella ist, kochen inzwischen selbst italienisch. Deutsche grüßen sich heute mit „Ciao“, und italienische Einwanderer fühlen sich längst mehr deutsch als italienisch. Aber der Weg dorthin war voller Umwege und Missverständnisse.

Von politischer Seite wurde anfangs nur die Arbeit organisiert, aber nicht das Zusammenleben. Die Gastarbeiter lebten in überfüllten Lagern am Stadtrand und hatten keinerlei gesellschaftliche Teilhabe. Die Schulen boten keine Sprachkurse an; Ausländerkinder wurden in deutsche Klassen geworfen, ohne die Sprache zu verstehen. An Integration dachten zuerst weder die deutschen Politiker noch die Gastarbeiter, da beide davon ausgingen, dass die Fremden eines Tages wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Aber von den insgesamt 14 Millionen Arbeitsmigranten blieben immerhin 2 Millionen für immer in Deutschland. Sie schlugen Wurzeln und gründeten Familien. Heute hat jeder dritte Deutsche einen Migrationshintergrund. Max Frisch prägte den Satz: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.“

„Bella Germania“ ist Ihr erstes Romanprojekt. Welche Herausforderungen sehen Sie in dem Formatwechsel?

Als ich die Drehbuch-Adaption des Romans „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ von Jan Weiler schrieb, konnte ich viel über die Unterschiede der beiden Formate lernen. Der Roman hat eine freiere Form, während ein Drehbuch ein perfekt geöltes dramaturgisches Uhrwerk ist. Literatur kann sich mehr Raum nehmen, um durch seelische Tiefen und Gedankenräume zu mäandern, während im Film die Handlung, der Konflikt und die dramatischen Wendepunkte zählen.

Der Roman ist aber auch eine künstlerische Befreiung für mich. Zum einen erlaubt er mir Freiheit von den Produktionsbedingungen. Ein Beispiel: Spielt im Drehbuch eine Szene 1955 auf dem Mailänder Domplatz, kostet das den Produzenten eine Menge Geld. Hunderte Statisten müssen entsprechend gekleidet werden, Autos aus der Zeit beschafft, Reklametafeln auf die Dächer montiert werden. Historische Filme sind leider sehr teuer.

Zum anderen erlaubt mir die Romanform eine größere Freiheit von den Vorstellungen anderer: Beim Film schafft an, wer bezahlt; im Fernsehen also der Sender. Dieser formuliert redaktionelle Vorgaben, die oft davon bestimmt werden, wovon man sich zu einer bestimmten Sendezeit die beste Quote beim Zielpublikum verspricht. Die Befürchtung, dass eine zu komplexe Handlung die Zuschauer überfordern könnte, führt oft zu einer Simplifizierung der Story.

Dennoch ändern sich gerade die Sehgewohnheiten der Zuschauer. Die narrative Revolution der amerikanischen Pay-TV-Serien bewirkt, dass auch im deutschen Fernsehen modernere, komplexere Erzählformen entstehen.

Das Interview führte Claudia Marion Voigtmann.

Veranstaltung

Plakat

Werkstattlesung und -gespräch
Bella Germania. Eine deutsch-italienische Familiengeschichte
mit dem Autor Daniel Speck
Di, 7. Juli 2015, 20 Uhr
Zimmerbühne in der Niederburg, St. Johanngasse 2, Konstanz