Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Der Literaturwissenschaftler David E. Wellbery erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Konstanz

von Brigitte Elsner-Heller

„Loyalität, Sympathie und eine wohlwollende Skepsis“ verbindet David E. Wellbery von der University of Chicago nachhaltig mit der Konstanzer Literaturwissenschaft.

Albrecht Koschorke, Ulrich Gotter und David Wellberry im Gespräch
v.l.: Albrecht Koschorke, Ulrich Gotter, David Wellbery

Auf Vorschlag der Geisteswissenschaftlichen Sektion wurde David E. Wellbery (University of Chicago) am Dies academicus (16. Oktober 2009) von Rektor Ulrich Rüdiger die Ehrendoktorwürde verliehen. Dekan Ulrich Gotter sprach in seiner Würdigung von den Verdiensten, die sich David E. Wellbery bei der Entwicklung der Literaturwissenschaft in Konstanz erworben hat. In einer pointierten Replik spielte Wellbery auf seinen Landsmann Barack Obama an: „Das Gewicht der Ehrung lässt sich nur dann ertragen, wenn man es in die Zukunft hinein projiziert“. Er verband für sich damit die Hoffnung, dass die Kooperation zwischen der Literaturwissenschaft in Chicago und Konstanz noch weiter ausgebaut werden könne.

Langjährige Verbindung zur Universität Konstanz

In seiner Laudatio lenkte der Konstanzer Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke den Blick zurück auf die „mythische Urzeit der Konstanzer Literaturwissenschaft“: die Konstanzer Schule und „Poetik und Hermeneutik“. David E. Wellbery habe zu den wenigen Wissenschaftlern seiner Generation gezählt, die in den Kreis von „Poetik und Hermeneutik“ Aufnahme gefunden hatten – wenn auch erst, als sich die Gruppe schon mit dem Thema ‚Das Ende’ befasste. Wellberys brillanter Aufsatz „Die Enden des Menschen: Anthropologie und Einbildungskraft im Bildungsroman“ entstand zu diesem Themenband. Im dann endgültig letzten Band des Kreises zum Thema ‚Kontingenz‘ war Wellbery ebenfalls wieder vertreten, mit einem Aufsatz über den Zufall der Geburt.

Biografie

David E. Wellbery nimmt einen prominenten Platz als amerikanischer Literaturwissenschaftler ein und ist auch in Deutschland hoch angesehen. Wellbery, der seinen Ph.D. 1975 an der Yale University erwarb, bekleidete Professuren in Stanford und an der Johns Hopkins University, von wo er 2001 an die University of Chicago berufen wurde. In Verbindung mit seiner Tätigkeit am Department of Germanic Studies und am Department of Comparative Literature leitet er dort das Center for Interdisciplinary Research on German Literature and Culture. Er ist Mitglied des renommierten Committee on Social Thought und des Editorial Board von Critical Inquiry, der wohl bedeutendsten kulturwissenschaftlichen Zeitschrift der USA. Gastprofessuren haben ihn nach Princeton, Cornell, Rio de Janeiro, Kopenhagen und Bonn geführt. Erst kürzlich wurde er Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. Wellbery war Fellow des Wissenschaftskollegs in Berlin (1989-1990), der Siemens-Stiftung in München (2002-2003) und Humboldt-Preisträger in Konstanz (2006/2007). Er ist Mitherausgeber der Deutschen Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (DVjs), des für die Germanistik wohl wichtigsten Fachorgans im deutschsprachigen Raum.

Sein Oeuvre, das unter anderem fünf Monographien umfasst, zeichne sich dadurch aus, dass Wellbery den Fokus auf ästhetische Phänomene gerichtet habe, die mit Literaturproduktion zu tun haben. Insofern sei er in Zeiten kulturwissenschaftlicher Entgrenzung ein Literaturwissenschaftler im emphatischen Sinn geblieben, sagte Albrecht Koschorke. Wellberys Interesse gelte den großen kanonischen Autoren gilt wie Goethe, Lessing, Sterne, den Romantiker, Nietzsche, Hofmannsthal oder Kafka. Durch seine Aufmerksamkeit auf die formalen Bedingungen der Konstitution von Sinn wurde in einer bestimmten Werkphase Niklas Luhmanns Systemtheorie für Wellbery attraktiv. Seinen besonderen „Theoriestil“ dokumentieren am deutlichsten seine zwei Bücher Lessing’s „Laocoon“. Semiotics and Aesthetics in the Age of Reason (Cambridge 1984) und The Specular Moment. Goethe’s Lyric and the Beginnings of Romanticism (Stanford 1996), wie Albrecht Koschorke ausführte. Sie gelten als seine wichtigsten.

Konstanz und Chicago: twin departments

„Das Schöne ist ja, dass wir ihn in Konstanz regelmäßig begrüßen dürfen“, sagte Albrecht Koschorke abschließend mit einem auch persönlich gefärbten Blick auf Gegenwart und Zukunft. Zwischen der Literaturwissenschaft in Chicago und Konstanz ist eine enge Zusammenarbeit entstanden, was Albrecht Koschorke dazu veranlasste, bereits von ‚twin departments‘ zu sprechen. Eine Zusammenarbeit, die sich nicht nur auf die beteiligten Professoren erstrecke, sondern auch auf Doktoranden und fortgeschrittene Studierende, wie Koschorke betonte. „David begleitet unsere Konstanzer Aktivitäten mit Loyalität, Sympathie, wohlwollender Skepsis und in einem ihm ganz eigenen Tonfall, den ich als freundschaftlichen Sarkasmus interpretiere“, so sein freundschaftlich unterlegtes Fazit.

Im Anschluss hielt David Wellbery einen Festvortrag zu einem Kurztext Franz Kafkas, „Wunsch, Indianer zu werden“, aus dem ersten Band „Betrachtung“ (1913). Unter dem lakonischen Titel „Kafkas Wunsch“ verband Wellbery Textanalyse und Interpretation mit der Erzählung einer eigenen theoretischen „Konversion“, die durch die Diskussionsbemerkung eines Studierenden angeregt worden sei. Grammatikalisch ein einziger unvollständiger Satz, der auf den ersten Blick alles, was im ersten Satzteil gewünscht werde, im zweiten Satzteil wieder zurücknehme, repräsentiere er einen Wunsch, der sich im Nichts aufzulösen scheine. Bringe man die Figur von Reiter und Pferde („ohne Pferdehals und Pferdekopf“) jedoch mit dem mythischen Bild des Zentauren in Verbindung, für das sich die Kunst und Literatur um 1900 in exzessiver Weise interessiert hat, sei eine andere Lesart möglich. Dann gehe der Wunsch in Erfüllung, nämlich in einer wilden Bewegung ins Freie mit dem Reittier zu verschmelzen. Eine deutliche Parallele zur Revolutionierung der Kunst um 1910, die in Kandinskys berühmtem Gemälde Der blaue Reiter bleibenden Ausdruck fand.

Franz Kafka: Wunsch, Indianer zu werden

Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.