Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

In 80 Essays um die Welt

Foto: Inka Reiter

„Weltnetzwerke – Weltspiele“ von Konstanz University Press kürt das Prinzip Spiel zur Schule des Denkens. Jürgen Graf stellt Buch und Spiel vor

„Ich wette hiermit um 20.000 Pfund Sterling, dass ich in höchstens 80 Tagen um die Erde reisen werde.“ Wer hätte je gedacht, dass sich ein Gentleman wie Phileas Fogg – „der pünktlichste, sesshafteste Mann im ganzen Vereinigten Königreich“, wenn man Jules Vernes Romanklassiker glauben mag – zu einer solchen Wette hinreißen ließe? Das Ergebnis schrieb jedenfalls Literaturgeschichte. 140 Jahre ist es nun her, dass Jules Verne seinen weltbekannten britischen Gentleman aus dem „Reform Club“ aufbrechen ließ, um die Welt zu umrunden, die Transportnetzwerke des 19. Jahrhunderts von der Eisenbahn bis zum Elefanten auszutesten und um zu guter Letzt von der Datumsgrenze gerettet zu werden.

80 Tage, 80 Essays – ein Buch, ein Spiel

Ein Autorenkollektiv namens „Passepartout“, benannt nach Foggs tolldreistem Diener, hält mit einem eigenen Wettlauf dagegen: 80 Tage lang veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Jörg Dünne (Universität Erfurt) und Prof. Dr. Kirsten Kramer (Universität Bielefeld), die Initiatoren des Buchprojektes, im Herbst 2012 Essays und Kommentare zu den einzelnen Stationen von Phileas Foggs Reise. Die Beiträge wurden nun von Konstanz University Press veröffentlicht und liegen seit Ende April in Buchform vor – oder sollte man besser sagen: In Spielform? In einem der ungewöhnlichsten Buchprojekte wissenschaftlicher Verlage gelang es nämlich, Wissenschaft und Brettspiel zu verknüpfen. Das Ergebnis kann sich sehen – und spielen – lassen.

Eine „Wette auf das Kursbuch“ könnte man Phileas Foggs Reise nennen, ein Spiel um die präzise Reiseplanung. In der Tat ist das Spiel ein heimliches Leitmotiv des Romanes, neben all seinen großen Themen wie den Weltnetzwerken, Transportmitteln und der Bildungsreise. Gespielt und gewettet wird in dem Roman reichlich, ganz zu schweigen von dem literarischen Spiel, das Jules Verne mit den Etappen Forschung treibt: „Wir waren überrascht, wie sehr Verne seine Texte als Spiel angelegt hat“, pointiert Kirsten Kramer. „Inspiriert davon haben wir versucht, diese ‚spielerische Arbeitsweise‘ an unsere Arbeit heranzutragen“, führt Jörg Dünne aus.

Steffen Bogen und Alexander Schmitz vor dem Spiel
Spieleautor Steffen Bogen (re.) und Alexander Schmitz, Lektor von Konstanz University Press. Foto: Inka Reiter

Das Spiel als Schule des Denkens, als Methode der wissenschaftlichen Auseinandersetzung: In ihrem Projekt „Passepartout“ sollte daher der Roman aus den Denkmustern des Spieles heraus verstanden werden. Das Ergebnis ist ein Sammelband mit 80 Beiträgen, der selbst eine spielerische Form gefunden hat: Der strenge Tonfall der Wissenschaft macht einer essayistischeren, experimentelleren Form Platz, die einen Bogen schlagen kann zwischen wissenschaftlicher Fragestellung und allgemeinverständlicher Sprache. Die 80 Beiträge verstehen sich als laufender Kommentar zu den Etappen Foggs und zeigen die wissenshistorischen Kontexte der wesentlichen Themen des Romans auf: Von den Gepflogenheiten und dem Weltbild eines „Reform Clubs“ über Wissenschaft, Verkehrstechniken und Zeitmessung im 19. Jahrhundert bis hin zum Kartenspiel Whist, das von Fogg und seinen Gentlemen passioniert gespielt wird.

Taktieren, Wetten und Bluffen

Mittelpunkt aller Beiträge ist die Fragestellung nach den Welt-, Wissens- und Transportnetzwerken des 19. Jahrhunderts. Nun wäre Phileas Fogg nicht Phileas Fogg, wenn er seine Wette nicht wörtlich nähme. Das Autorenkollektiv Passepartout tut es ihm gleich und setzt die „spielerische Denkmethode“ wortwörtlich um, als waschechtes Brettspiel inklusive Figuren, Spielbrett und Karten. Der erfinderische Geist hinter dem Spiel ist der Konstanzer Kunstwissenschaftler und prämierte Spieleautor Privatdozent Dr. Steffen Bogen. Ausgangspunkt seiner Spielidee ist Phileas Foggs „Wette auf das Kursbuch“: Der pedantisch-pünktliche Fogg will immer exakt eine Etappe pro Spielzug reisen, seine „Mitspieler“ treiben die Reise jedoch schneller oder langsamer voran. Das Spiel erfordert Taktieren, Wetten und Bluff, vor allem aber bildet es mit seinen Spielmaterialien und -prozessen eine Reflexion über den Roman ab.

„Mein Spiel ist ein Gegenstand, über den nachgedacht wird, mit dem aber auch nachgedacht wird. Es soll einerseits als Spiel funktionieren, aber auch in Kombination mit dem Buch Gegenstand der Theorie sein“,

erläutert Steffen Bogen das Wechselspiel zwischen Spielbrett und Essays. Damit dürfte er zugleich die wohl angenehmste Form von Wissenschaft erfunden haben, wenn Spielreiz sich mit Erkenntnis paart. „Und seien wir ehrlich“, endet der Roman, „würde man sie nicht schon für weniger wagen, die Reise um die Welt?“

Jürgen Graf ist Mitarbeiter der Pressestelle der Universität Konstanz.

Cover

Weltnetzwerke – Weltspiele. Herausgegeben von Passepartout. Konstanz: Konstanz University Press, 2013.

www.weltnetzwerke.de
das Weblog zum Jules-Verne-Projekt

Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen
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