Theorie des hyperimage
Abstract
In der Nachfolge der Wunderkammern etablieren sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Kunstsammlungen, in denen nicht nur Bildwerke (Gemälde und Skulpturen) der jeweiligen Gegenwart, sondern auch bedeutende Werke der Vergangenheit, die für einen je unterschiedlichen Kontext geschaffen wurden, innerhalb eines Raumes oder einer geordneten Raumfolge nach wechselnden Ordnungssystemen präsentiert werden. Während der Übergang von der Wunderkammer zur Kunstsammlung, aber auch historische Hängungen der wichtigsten adligen und bürgerlichen Sammlungen Europas relativ gut untersucht bzw. dokumentiert sind, liegt bis heute keine Theorie vor, die es erlauben würde, diese wechselnden Bildensembles – und jene, die mit dem illustrierten Kunstbuch und dem Internet anschließen – in ihrer semantischen Leistung adäquat zu untersuchen. Grundlage für die zu erarbeitende Theorie des hyperimage ist es, die jeweiligen Bildensemble als Texte, d.h. als nach unterschiedlichen syntaktischen Verfahren geordnete, bedeutungstragende Ensembles zu untersuchen.
Beim hyperimage handelt es sich nicht um ein Phänomen der Bildproduktion im engeren Sinn, sondern um ein Phänomen der Montage, bei dem ausgehend von existierenden, bereits bedeutungstragenden Einheiten (Bildern, bzw. ihren fotografischen doubles) in einem Prozess von Arrangement und Re-arrangement übergreifende Einheiten („Bild-hypertexte“) mit jeweils neuer Bedeutung geschaffen werden. hyperimages sind Orte der kulturellen Konfrontation und der Vermittlung zwischen Kulturen. Seit in der westlichen Kultur Bilder gesammelt und in immer neuen Aggregatszuständen angeordnet werden, dienen die Bildersammlungen als Orte, in denen Bildwerke, die unterschiedlichen kulturellen Kontexten entstammen, miteinander in Kontakt gebracht werden. Die betroffenen Werke werden grundsätzlich unter einem gemeinsamen Nenner („Kunst“) vereinigt; gleichzeitig dient die jeweilige Anordnung aber dazu, die semantischen Differenzen zwischen den involvierten Werken auszuloten. Während in den älteren Epochen die kulturellen Differenzen noch gering waren – die traditionellen Präsentationsformen dienten u.a. dazu, die Charakteristika der einzelnen Kunstschulen bzw. -regionen in hierarchischen Ordnungen definierend voneinander abzuheben (deutsche vs. italienische, venezianische vs. florentinische Schule usf.) – nehmen die Konfrontationen von Bildern seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine globale Dimension an. Die Möglichkeit der massenhaften Verbreitung von Bildparallelwelten im illustrierten Kunstbuch – André Malraux hat dazu mit seinem 1947 erschienenen, aufwändig produzierten Bildband Le Musée imaginaire gleichzeitig die Theorie und dessen Exemplifikation geliefert – eine neue Ära in der Geschichte des hyperimage ein. Qua Abbildung wurde jedes visuelle Artefakt jeder Zeit und jeder Kultur jedem andern grundsätzlich gleichgestellt und damit für jede Form der hyperimage-Bildung verfügbar gemacht. Mit dem Siegeszug des bildfähigen Internet wurde diese Öffnung noch potenziert, aufgrund der globalen Verbreitung ohne spezifischen Adressaten in ihrer Bedeutung aber wieder eingeschränkt.