Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Enklaven, Peripherien, Exterritorien (Jugoslawien 1945-1995)

Dr. Tatjana Petzer

Abstract

Titos „Dritter Weg“ war ein programmatischer Aufbruch Jugoslawiens aus der Peripherie Europas und der Peripherialisierung durch den Ostblock. Davon geleitet war die innen- und außenpolitisch wirksame Gestaltung von exklusiven Räumen des Jugoslavismus, die eine – bis zu ihrer Inversion in den Sezessionen seit 1991 – eigene Logik der Dezentralisierung und territorialen Markierung hervorbrachte. Diese steht im Zentrum meiner Untersuchung, die die soziokulturellen, ideologischen und ästhetischen Faktoren verschiedener raumstrukturierender Modelle in den Blick nimmt:

1. Machtzentralen und Ödräume

Belgrads außenpolitische Ausrichtung und die In- und Exklusionspraktiken innerhalb der multiethnischen Föderation können – in Anlehnung an den kroatischen Intellektuellen Miroslav Krleža – durch ein dreistufiges Modell von Zentrum-Peripherie-Ödraum beschrieben werden, welches die globale Zentrum-Peripherie-Struktur in sich selbst wiederholt. Anzunehmen ist, dass die politischen Orientierungen eines Systems in den Subsystemen bzw. an den Systemrändern selbstähnliche Gebilde erzeugen, welche die Strukturen im Großen im Kleinen und damit in den regionalen Aktionsräumen der Nationalitäten- und Territorialpolitik spiegeln.

2. Titos Archipele

An der südlichen Peripherie Jugoslawiens lagen zwei insulare Sperrzonen eng beieinander: zum einem die Lagerinseln Goli Otok und Sveti Grgur zur politischen (antistalinistischen) ‚Umerziehung‘ und zum anderen Titos Staatsresidenzen auf den Brioni-Inseln – ein Inszenierungsort für die Blockfreiheit Jugoslawiens und imperial-kosmopolitische Geste, die zum Vorbild und Aushängeschild des jugoslavischen Lifestyles avancierte. Diese gegenläufigen Funktionssysteme mit unterschiedlichen sozio-kulturellen Implikationen – der Marginalisierung und der Exklusivität – zeigen exemplarisch für die jugoslavische Gesellschaft Überlagerungen und Verschiebungen dichotomischer Strukturen wie innen/außen, offen/geschlossen, (semi-)­öffentlich/nicht-öffentlich, peripher/zentral an.

3. Versehrte Körper

Mit der unsteuerbaren Eigendynamik der Desintegration und Zerstückelung der Föderation wiederholten sich in Jugoslawien überholt geglaubte Marginalisierungsstrategien, beispielsweise die religiös konnotierte Stigmatisierung von Körpern in den bosnischen Lagern – symbolische Landnahmen. Zu untersuchen wäre auch, inwiefern die Umkehrung der ethno-föderalistischen Ordnung und Einheitsrhetorik ein Effekt der unter 1. und 2. anvisierten Raumkonstellationen ist.