Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

D Kulturdynamik von Religion

Die Vorstellungen von Religion in der öffentlichen Debatte oszillieren zwischen zwei Polen: einerseits der Sorge vor religiös motivierten Radikalisierungen, andererseits der Erwartung an Religion als stabilisierender Faktor und integrative Instanz – letzteres oft verbunden mit der Annahme, dass Religion in vormodernen Zeiten diese Funktion habe ausfüllen können.

Die bisherigen Ergebnisse der Arbeiten in Forschungsfeld D zeigen ein gänzlich anderes Bild. Sie haben eine wichtige Ausgangsthese der Clusterforschungen bestätigt, dass die Grenzen zwischen den Konfessionen, zwischen dem Pluralismus religiöser Bewegungen und den monotheistischen Glaubenssystemen, aber auch zwischen ethnischen, kulturellen und religiösen Fremd- wie Selbstzuschreibungen zu allen Zeiten in einem beträchtlichen Maß fließend sind.

Auch in der zweiten Forschungsphase war deshalb der Blick auf das bewegliche Spiel von Prozessen der Aus- und Entdifferenzierung gerichtet, in denen sich religiöse Vergemeinschaftungen bilden, institutionell verfestigen, wechselseitig hybridisieren und transformieren. Hier erweist sich insbesondere der Dialog zwischen geschichtswissenschaftlichen und ethnologischen Arbeitsvorhaben als fruchtbar. Der Schwerpunkt wurde noch stärker als bisher auf außereuropäische Glaubensdiskurse und -praktiken gelegt, um auf diesem Weg zu einer veränderten Wahrnehmung auch der um das kulturelle Konstrukt ‚Europa‘ zentrierten Religionsgeschichte zu gelangen.

Die Institutionalisierung von Religion selbst bleibt dabei ein Phäno­men, das weiterer kulturwissenschaftlichen Forschung bedarf. Die institutionalisierte, abgegrenzte Religion steht dabei in der Regel nicht nur anderen Religionen, sondern überdies Formen religiöser Bewegungen gegenüber, die die Grenzen des Religiösen immer wieder aufheben und in anderer Weise neu ziehen. Zwischen diesen Bewegungen und den institutio­nell verfestigten Religionen herrscht in allen Richtungen eine marktförmige Konkurrenz um Mit­glieder. Die Konkurrenzsituation wird durch unterschiedliche Rechts- und Herrschafts­systeme, die sich auf die Handhabung von Minderheitenrechten auswirken, aber auch durch kulturelle Praktiken jeweils unterschiedlich strukturiert.

Im Verhältnis zwischen institutionalisierten Formen und offenen religiösen Bewegungen lässt sich die Kulturdynamik der Religion am direktesten beobachten, zumal nicht ausgemacht ist, welche Gestalt Institutionalisierungen jeweils annehmen. Gerade an dieser Stelle hat sich der dezidiert theologieferne Zuschnitt des Konstanzer Forschungs­zusammen­hangs exemplarisch bewähren können. Von apologetischen Ambitionen entlastet, lassen sich religiöse Wahr­heits­ansprüche vorbehaltlos historisieren und kontextspezifisch auf ihre medialen Konditio­nierun­gen und kulturellen Rahmungen hin untersuchen.

Forschungsfragen

In dem Forschungsfeld wurden unter anderem die folgenden Fragen bearbeitet:

  • Wie institutionalisieren sich Religionen, welche historische Dynamik ist dabei am Werk?
  • Wie verhalten sich institutionalisierte Religionen und religiöse Bewegungen zueinander? Welche Szenarien und Phasen lassen sich typologisch unterscheiden?
  • Inwiefern üben Religionen Einfluss auf gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen aus? Wie wird in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen religiösen und säkularen Zeitordnungen modelliert?
  • Wie ist Multireligiösität organisiert, sowohl in ihren historischen als auch in ihren aktuellen Bezügen?
  • Welche Mechanismen regeln den Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und religiöser Semantik? Wie kommt es zu Effekten sozialer ‚Sättigung‘ und Überdeterminierung dominant religiöser Begriffe in ihren pragmatischen Kontexten?
  • Welche Elemente von Religionen sind gewaltfördernd, welche dienen vorrangig der Deeskalation und Schlichtung von Konflikten?
  • Wie wirken sich europäisch geprägte Konzepte der ‚Religion‘ und ‚Säkularisierung‘ auf gesellschaftliche Wissensordnungen und auf die Selbstorganisation der Wissenschaft aus?
  • Welche rezenten Formationen von Religion und des Religiösen prägen die globale Gegenwart?