Historische Entwicklung der kulturinformierten Psychologie
Abstract
In der Geschichte der akademischen Institutionalisierung der modernen Sozialwissenschaften im 19. Jahrhundert kommt der Psychologie eine besondere Rolle zu. Einerseits am naturwissenschaftlichen Paradigma orientiert, andererseits zumindest in den Anfängen skeptisch hinsichtlich der Reichweite dieser Orientierung (Stichworte „Völkerpsychologie“ in den Entwürfen von Lazarus, Steinthal und Wundt, sowie „geisteswissenschaftliche Psychologie“ im Sinne Diltheys), ist das Fach von seinen institutionalisierten Anfängen an mit wissenschaftshistorischen, wissenschafts- und kulturtheoretischen sowie methodologischen Fragestellungen befasst, die seitdem zum Kernbestand allgemeiner sozial- und kulturwissenschaftlicher Debatten gehören. In der neueren Psychologie haben diese Debatten in der Entstehung so genannter „kulturinformierter“ Ansätze wie der russischen soziohistorischen Schule, vor allem auch in Subdisziplinen wie der „Cross-cultural psychology“, der „Cultural psychology“ und mittlerweile der „Indigenous psychology“ jeweils unterschiedlichen Ausdruck und unterschiedliche Positionierung erfahren. Im Hinblick auf psychologische Menschenbilder und ihnen entsprechende methodische Zugänge lassen sich ähnliche Auseinandersetzungen, Abgrenzungen und Reflexionen über die psychologische Rolle von Kultur auch in Schulbildungen wie der Psychoanalyse, dem Behaviourismus und der Humanistischen Psychologie nachweisen.
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, die hier nur skizzierten Grundzüge der historischen Entwicklung der „kulturinformierten“ Psychologie nachzuzeichnen und dabei ihre ethnozentrischen, insbesondere eurozentrischen Verzerrungen, d.h. ihre mangelnde Kulturinformiertheit, zu dokumentieren. Damit möchte ich am Beispiel neuerer und eher kritisch ausgerichteter psychologischer Positionen nachweisen, wie sehr die westliche Sozialwissenschaft auch noch in ihren jüngsten kulturalistischen Orientierungen Selbstverständnissen, Theoremen und Denkmustern verhaftet bleibt, die in vielerlei grundlegenden Aspekten dem 19. Jahrhundert entstammen (wie das zum Beispiel I. Wallerstein eindrücklich aber bislang weitgehend folgenlos beklagt). In diesem Rahmen möchte ich spezieller die Entstehung der „Indigenous Psychology“ rekonstruieren, damit dazu beitragen, nicht-westliche Denk- und Forschungstraditionen in die Diskussion einzubringen und unter systematischer Betrachtung entsprechender (vor allem indischer) Beiträge untersuchen, inwieweit dieser Ansatz das Potential hat, die Theorienbildung in aktuellen psychologischen und sozialwissenschaftlichen Debatten voranzubringen.