Strategien, Strukturen und Evolution
Abstract
Die Wirtschaftswissenschaft ist seit längerer Zeit eine Art Leitwissenschaft: sei es als Lieferantin von Modellen, Konzepten und Theorien für die anderen Wissenschaften, sei es als Referenzsystem, in bezug zu dem sich auch alle alternativen Modelle und Theorien definieren müssen. Die Wirtschaftswissenschaft liefert überdies wichtige Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster im Alltag und ist ein wirkmächtiges Rechtfertigungsmodell im politischen Feld.
Im geplanten Buchprojekt geht es darum, den Einfluss wirtschaftswissenschaftlicher Modelle und Theorien – von der Mikroökonomie und Spieltheorie bis zur Institutionen- und Evolutionsökonomie – auf die Ethnologie zu untersuchen. Die Geschichte der Ökonomie ist ihrerseits gekennzeichnet durch eine Konkurrenz zwischen neoklassischer Mikro- und Makroökonomie mit ihrer radikalen Konzeption des Homo oeconomicus, einerseits, und heterodoxen Konzeptionen, anderseits, vor allem diversen Varianten der Institutionenökonomie und der Verhaltensökonomie, mit einer gemäßigten Version des interessegeleiteten Akteurs (bounded rationality). In diesen letzteren Strömungen wird auch vermehrt auf die Erkenntnisse der (anderen) Sozial- und Kulturwissenschaften Bezug genommen.
Ein wichtiger Fokus des geplanten Buchprojektes ist die Beziehung zwischen Akteurstrategien einerseits und Institutionen und Strukturen anderseits, ein zentrales Thema der Sozial- und Kulturwissenschaften (Bourdieu). In den meisten Sozial- und Kulturwissenschaften – so auch in der Ethnologie – waren über längere Zeit Denkschulen, die von einer strukturzentrierten Perspektive ausgingen, vorherrschend (z.B. Strukturfunktionalismus, Marxismus und Strukturalismen semiotischer oder hermeneutischer Ausrichtung), während akteurzentrierte Ansätze, wie sie in der Ökonomik vorherrschen, nur eine marginale Rolle spielten. Die akteurzentrierten, ökonomischen Ansätze haben in den letzten Jahren bei der Analyse von Gesellschaft und Kultur jedoch an Bedeutung gewonnen.
Im geplanten Buch sollen Modelle, die in der Wirtschaftswissenschaft (teilweise auch in Politologie und Soziologie) entwickelt wurden, im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit auf die Analyse von Wirtschaft, Politik und Kultur in einfachen Gesellschaften geprüft werden. Inwiefern lassen sich „klassische Themen“ der Ethnologie (wie z.B. Krieg und Gabentausch, Kooperation und Konflikt, Entstehung von Institutionen, Produktion bei Wildbeutern und Bauern, Aufstieg und Niedergang von Gesellschaften) mit diesen Modellen besser erklären als mit den herkömmlichen Konzeptionen? Inwiefern lassen sich neue Fragen stellen, die bisher in der Ethnologie noch gar nicht gestellt wurden?
Das geplante Buch soll theoretische Themen und Probleme behandeln, deren Lösung nicht nur für die Ethnologie, sondern auch für jene Sozial- und Kulturwissenschaften interessant sein könnten, die sich schwerpunktmäßig mit industrialisierten, modernen Gesellschaften befassen. Überdies wird der Frage nachgegangen, welche paradigmatischen Probleme der strukturzentrierten Ansätze in den Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch welche veränderten Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster in der westlichen Kultur zu dieser Bedeutungszunahme von akteurzentrierten, ökonomischen Ansätzen geführt haben.