Ähnlichkeiten
Abstract
Mein Forschungsvorhaben wäre als Teil der Theoriebildung im Schwerpunktsthema „Kulturalisierung“ aufzufassen. Es lässt sich wie folgt kurz skizzieren: Kulturwissenschaftliche Analysen von komplexen Gesellschaften müssen sich mit Prozessen der Homogenisierung und Heterogenisierung, mit Phänomenen der Deterritorialisierung und Reterritorialisierung in Sprache, Literatur, Kultur, Politik und Gesellschaft auseinandersetzen. Aktuell wird diese Analyse, um die Auswirkung von Migrationsbewegungen, Integrationsstrategien, Inklusion und Exklusion zu erfassen, die jetzt ein Teil der sich entwickelnden Vielfalt der Sprachen und Kulturen in großen ‚postnationalen’ Staaten sind. Bisher hat man den Akzent in entsprechenden Analysen weitgehend auf ‚Differenz’, Alterität, das ‚Andere’ und auf die entsprechende Hermeneutik des Verstehens und die Interpretation der Andersheit gelegt. In dieser Sichtweise wird Identitätszuschreibung durch Grenzziehungen markiert, auch dann wenn flexible Identitäten zugestanden werden, denn diese stehen vielfach unvermittelt parallel nebeneinander. Wir können hier die Kulturalisierung der Differenz beobachten, etwa in der jetzt aktuell gewordenen Präsenz des religiösen Diskurses.
Hier setzt die ‚alternative’ Sichtweise mit „Ähnlichkeiten“ an. Der Blick auf „Ähnlichkeit“ (“similarity”) erlaubt uns einen theoretischen und methodischen Ansatz zu entwickeln, der das Moment des „Ineinandergreifens“, und der Überlappungen und Abstufungen, thematisiert, um kulturelle und gesellschaftliche Diversität und den Vergleich zwischen Kulturen nicht unter den Kategorien von Grenze, Dichotomie oder gar Zusammenstöße (Clash) zu erfassen versucht. Eher geht es um übergreifende Momente der Gleichzeitigkeiten und um ‚Correspondance’.
Der Blick auf Ähnlichkeiten und die Operation der Vergleichung sind geeignet Komplexität ernst zu nehmen. Der Ansatz entsteht aus der Einsicht in die Realität einer in sprachlicher, religiöser, ethnischer, sozialstruktureller usw. überaus komplexen Gesellschaft und die ebenfalls komplexe Kulturproduktion in der Gesellschaft. Dichotomien, Grenzziehungen und Abgrenzungen orientiert sind und die Identitätsbildung nicht mit angstbesetzter „otherness“ verbinden. Statt Grenzen und Dichotomien zu betonen, wird die Aufmerksamkeit auf „Ähnlichkeiten“ gerichtet. Die Perspektive auf Ähnlichkeit erlaubt auch, auf trügerische Ähnlichkeiten, und auf den Unterschied zur vereinnahmenden Gleichartigkeit („sameness“) hinzuweisen. Mit dem Blick auf Ähnlichkeit (similarity) wird es möglich die Topologie der heterogenen, plurikulturellen Kommunikationsgesellschaft zu skizzieren. Dies bildet einen Gegensatz zur Verabsolutisierung der Differenz durch die Homogenisierung.
“Ähnlichkeit” bildet gewissermaßen einen doppelten Gegenbegriff, nämlich einerseits zur Opposition zwischen Homogenität und Heterogenität und andererseits zum Gegensatzpaar Identität und Altertität, und lässt sich so unter historischen, politischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten mit der Kritik an der Konjunktur der kulturalistischen Erklärungsmuster und der Fragestellung zu „Kulturalisierung“ in Verbindung bringen. Kulturalisierung, so könnte man fragen, zielt auf Eindeutigkeit und somit auf die Reduktion von Komplexität. Die Ähnlichkeitsperspektive wirkt hier als Gegenmoment subversiv. Die Aufarbeitung der kulturtheoretischen und epistemologischen Grundlagen des Ähnlichkeitsbegriffs wäre im Hinblick auf gegenwärtige Diskussionen über Komplexität, historische Überlappungen, Zivilisationsvergleiche, Entangled history, histoire croisée und Gleichzeitigkeiten ein Forschungsdesiderat. Hier wären auch postkoloniale Ansätze und der Vergleich mit historisch gewachsenen Formen der sprachlichen, kulturellen, religiösen, gesellschaftlichen Diversität in anderen Weltteilen, wie Indien, einzubeziehen.
Die nachdrückliche Marginalisierung des Ähnlichkeitsdenkens in der Entstehungsgeschichte der neuzeitlichen Wissenschaften ist augenfällig. Gleichzeitig aber gibt es in den europäischen Geistes- und Sozialwissenschaften eine ganze Reihe von theoretischen und methodologischen Anschlussstellen, in denen Ähnlichkeit eine zentrale Rolle spielt. Diese Anschlussmöglichkeiten gilt es im Rahmen des Forschungsvorhabens zu aktivieren.