Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Das theokratische Argument und seine politischen Konsequenzen im antiken Juden- und Christentum

Prof. Dr. Kai Trampedach

Abstract

Das Forschungsvorhaben in Konstanz soll zur Abfassung einer Monographie führen, in der ich das Verhältnis von Religion und Politik in der Antike anhand eines Extremfalls untersuchen will: der Theokratie, d.h. der Idee einer Gottesherrschaft auf Erden. Dabei möchte ich „Theokratie“ nicht als konstitutionellen Begriff verstehen, der sich Begriffen wie Monarchie, Aristokratie oder Demokratie gleichartig an die Seite stellen ließe. Gott als handelnden Herrscher vorzustellen und zu postulieren, kennzeichnet vielmehr ein bestimmtes Normenverständnis, das unabhängig von der jeweiligen Herrschaftsform evoziert werden konnte: Die Theokratie zwingt alle Menschen, unabhängig von ihrem jeweiligen sozialen und politischen Status, gleichermaßen dazu, bestimmte göttliche Normen anzuerkennen und ihr Verhalten danach auszurichten, d.h. den Befehlen Gottes zu gehorchen, wie sie z.B. in den als heilig anerkannten Schriften überliefert sind oder durch Gottes Propheten übermittelt werden. Ungehorsam zieht dieser Weltanschauung zufolge unweigerlich Gottesstrafen nach sich. Weltliche Gesetze und Traditionen gelten dem theokratischen Normenverständnis als nachrangig bzw. – sollten sie den göttlichen Normen zuwiderlaufen – als illegitim. Daß diese Vorstellung den monotheistischen Religionen als Potential inhärent ist, hat Jan Assmann in seiner Untersuchung zur „mosaischen Unterscheidung“ gezeigt.

Als politisches Argument mit politischen Konsequenzen wurde die Theokratie in der Antike freilich nur in außerordentlichen kulturellen Kontexten und Konstellationen wirksam, zunächst im Rahmen der jüdischen Geschichte in Palästina in hellenistischer und römischer Zeit (v.a. vom Makkabäeraufstand 168 v. Chr. bis zum Bar Kochva-Aufstand 136 n. Chr.), dann im Zusammenhang mit der Legitimation des römischen Kaisertums unter christlichem Vorzeichen seit Konstantin dem Großen. Für die Stabilität der politischen Herrschaft hatte das theokratische Argument ambivalente Folgen: Der situative Bezug auf die „Königsherrschaft Gottes“ konnte bestehende politische Institutionen und Verfahren stabilisieren oder aber in Frage zu stellen und bot damit ebenso Chancen wie Risiken für die Inhaber politischer Herrschaft. Wer sich auch immer des theokratischen Arguments bediente, besaß damit die Möglichkeit, die konstitutionell etablierten Abläufe politischer Herrschaft zu überschreiten.

In der geplanten Monographie möchte ich die unter „Publikationen“ aufgeführten und weitere im Druck befindliche Vorstudien zusammenführen, um zentrale Aspekte ergänzen und zu einem einheitlichen Gedankengang vereinigen; am Ende soll der Versuch stehen, kontextübergreifende Strukturen des theokratischen Arguments idealtypisch zu isolieren. Im einzelnen sollen folgende Themenfelder behandelt werden:

  1. Die Hasmonäer zwischen theokratischer Herrschaftslegitimation und theokratischer Opposition
  2. Glanz und Elend der jüdischen Klientelkönige
  3. Die gescheiterte Provinz ‒ warum die direkte römische Herrschaft über die Juden in Palästina nicht funktionierte
  4. „Gott statt sterbliche Herren!“ ‒ die jüdischen Aufstände gegen die römische Herrschaft im Zeichen der „zelotischen Verschärfung“
  5. Gott und Kaiser ‒ spätantike Reflexionen über ein prekäres Verhältnis
  6. Zwischen Kooperation und Konkurrenz: der Kaiser, die Bischöfe und die heiligen Männer
  7. Die Dynamik der Krönungsrituale in Konstantinopel
  8. Fazit: Metamorphosen des theokratischen Arguments in der Antike

Das skizzierte Arbeitsvorhaben versteht sich als Beitrag zum Forschungsfeld des Clusters „Kulturdynamik von Religion“. In den beiden kulturellen Kontexten, auf die sich das Arbeitsvorhaben bezieht, erscheint Religion als wichtigster „Sinngenerator“ und besonders dynamischer „Faktor sozialer Ordnungsbildung“, um Schlüsselbegriffe aus dem Cluster-Antrag aufzugreifen – mit sowohl integrativen als auch ausgeprägt desintegrativen Folgen für die jeweiligen Herrschaft. Im Gegensatz zur vorherrschenden Perspektive der bisherigen Forschung will das Arbeitsvorhaben eher die problematischen Seiten religiöser Herrschaftslegitimation in den Blick nehmen und damit der im Antrag formulierten Erkenntnis (S. 106) Rechnung tragen, daß Religion im Zeichen der „mosaischen Unterscheidung“ (Jan Assmann) nicht nur zu anderen Kulten und Religionen sondern auch zu politischer Herrschaft in scharfe Konkurrenz treten kann. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage nach dem Verhältnis von Religion und (innerer und äußerer) Gewalt. Meine Projektinitiative „Das Konzept des ‚heiligen Krieges‘ im antiken Juden- und Christentum“, die bereits im Antrag des Excellenzclusters beschrieben ist (S. 109 f.), soll daher in das Arbeitsvorhaben integriert werden.

Außerdem steht das Arbeitsvorhaben in engster Verbindung mit dem Projektantrag „Antike Monarchien im Vergleich“ von Ulrich Gotter, an dem ich vor meiner Berufung nach Heidelberg noch als Konstanzer Hochschuldozent mitgewirkt hatte. Ich möchte die Zeit am Forschungskolleg auch dazu nutzen, um dieses Projekt, besonders im Hinblick auf seine internationale Vernetzung, in enger Zusammenarbeit mit Ulrich Gotter und Nino Luraghi weiterzuentwickeln.