Alltagsräume der sowjetischen Kultur der dreißiger Jahre
Abstract
Das Gesamtvorhaben besteht aus einer Zusammenstellung von ca. 25 thematischen Facetten auf die sowjetische Kultur der dreißiger Jahre. In den Blick kommen die Wohnverhältnisse zwischen Privatheit und proletarischer Öffentlichkeit, das Puschkin-Jubiläum 1937, das Tagebuchschreiben unter den Bedingungen des Terrors, die sowjetische Propaganda im Bereich der Kulinaria, das jüdische Theater, Publizistik, die Kultur des Witzes und der Anekdoten und - natürlich - das Kino. Auch werden konkrete Räume betrachtet, in denen die Menschen agierten – der Hinterhof (dvor), in denen Kinder aufwuchsen und wo sich die Erwachsenen trafen, oder die Straßen und Gassen, in denen man lebte.
Das Vorhaben stellt in gewisser Weise ein Parallelunternehmen zu Karl Schlögels soeben erschienener Studie Terror und Traum. Moskau 1937 (München 2008) dar. Im Unterschied zu Schlögels Buch geht es mir um die Binnenperspektive auf Terror und enthusiastische (Kino)Träume der sowjetischen dreißiger Jahre. In einer solchen Perspektive werden analytische Aperçus und biographische Erfahrungen zusammengeführt. Erst in einer solchen Perspektive lässt sich m. E. die seltsame, für die Sowjetkultur prägende Spannung von offizieller Ideologie und alltäglichem Leben (byt) einfangen. Gleichzeitig hat das Projekt eine komparativistische Komponente, indem immer wieder Vergleiche zu anderen Kulturen, vor allem zu Deutschland oder den USA, unternommen werden.
Die meisten Beiträge sind bereits geschrieben und in Sammelbänden, Katalogbänden, Zeitschriften oder Zeitungen publiziert. Den dreimonatigen Aufenthalt im Kulturwissenschaftlichen Kolleg möchte ich nutzen, um die vorliegenden Artikel für eine Buchpublikation zu überarbeiten und sie um einige weitere Beiträge zu ergänzen, die vor allem die Beschreibung von Alltagsräumen meiner Moskauer Kindheit und Jugend betreffen: Wohnung, Hinterhöfe, Straßen, Kindergarten, Schule. Diese Beiträge sollen dabei aber keine persönlichen, memoiristischen Erinnerungsbilder sein, sondern anhand von verschiedenen Quellen (Massenpublizistik, Literatur, Kino) unternommene, analytische, aber von persönlichen Erfahrungen getragene und durch diese sensibilisierte Darstellungen sein. Das Material und die Quellen liegen vor und sind von mir im Zusammenhang von größeren Projekten erschlossen worden. Für das vorliegende Vorhaben der „Alltagsräume“ möchte ich das Material, alltagsgeschichtlich perspektiviert, nochmals bearbeiten.
Die Beiträge sollen in der Publikation in Form einer Montage präsentiert werden. Mit diesem montagehaften Aufbau möchte ich die inneren Gegensätze und Spannungen sowie Leitmotive und Topoi der Sowjetkultur sichtbar und für den Leser nachvollziehbar machen. Der Arbeitsaufenthalt am Kulturwissenschaftlichen Kolleg soll ebenfalls dazu dienen, eine solche Gesamtmontage für die Publikation zu erarbeiten.