Wandel und Beschleunigung
Zeitgefühl in Ägypten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Abstract
Das historisch-islamwissenschaftliche Arbeitsprojekt zielt auf eine Untersuchung des Zeitempfindens in Ägypten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, insbesondere des allgemeinen Gefühls von Beschleunigung, das sich als Ergebnis einer Veränderung zahlreicher Lebensbereiche einstellte.
Technologischer Know-how-Transfer, die Durchdringung der ägyptischen Wirtschaft durch europäische Unternehmen sowie schließlich die direkte Beherrschung des Landes durch Großbritannien beeinflussten die Entwicklung Ägyptens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von Grund auf. Zu den Veränderungen gehörte eine Modernisierung des Reisens, Bauens und der Kommunikation, die sich u. a. im Bau von Eisenbahnlinien und Telegrafennetzen, der Anlage des Suez-Kanals sowie umfassender städtebaulicher Maßnahmen vor allem in Kairo zeigte.
Die Folgen dieses Wandels auf das Zeitempfinden der Menschen sollen unter einer mentalitätsgeschichtlich orientierten Perspektive untersucht werden. Zu diesem Zweck werden arabischsprachige Reiseberichte, historisch-politische Publikationen und Presseerzeugnisse sowie ggf. alltagsgeschichtliche Quellen auf die in ihnen enthaltenen Einstellungen gegenüber verschiedenen Aspekten von Zeitlichkeit und Beschleunigung hin ausgewertet. Bilder von Wissenschaft und Technik sowie Bewertungen von Kategorien wie Moderne und Fortschritt (bzw. ihr Gegenteil) können hierbei instruktiv sein. Begriffsgeschichtliche Erwägungen und Befunde sollen in die Untersuchung eingehen.
Nicht zuletzt sollen die Ergebnisse auch danach befragt werden, welche Sichtweise der eigenen versus fremder (europäischer) Kulturleistungen ihnen innewohnt. Vereinfacht gefragt: Ist Technikfeindlichkeit gleichbedeutend mit Europafeindlichkeit? Oder kann in der Akzeptanz einer Modernisierung und Beschleunigung des Lebens vielmehr eine Fortschrittsorientierung der eigenen Religion, Kultur oder Nation entdeckt werden? Mit dieser Perspektive ist nicht zuletzt auch die Einbettung in den Themenbereich „Kulturelle Grundlagen von Integration“ gegeben.