Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Die Theokratie und ihre politischen Folgen

Der Appell an die „Königsherrschaft Gottes“ in der Vormoderne

Prof. Dr. Kai Trampedach

Abstract

Das Forschungsvorhaben thematisiert das Verhältnis von Religion und Politik anhand eines Extremfalls: der Theokratie, d.h. der Idee einer Gottesherrschaft auf Erden. Dabei wird „Theokratie“ nicht als konstitutioneller Begriff aufgefasst und etwa Begriffen wie Monarchie, Aristokratie oder Demokratie an die Seite gestellt. Die Vorstellung Gottes als handelndem Herrscher kennzeichnet vielmehr ein bestimmtes Normenverständnis, das unabhängig von der jeweiligen Herrschaftsform evoziert werden konnte: Die Theokratie zwingt alle Menschen, unabhängig von ihrem jeweiligen sozialen und politischen Status, gleichermaßen dazu, bestimmte göttliche Normen anzuerkennen und ihr Verhalten danach auszurichten. Sie sollen Gottes Gesetzen oder Vorbild gehorchen, wie sie in den als heilig anerkannten Schriften überliefert sind, denn Ungehorsam zieht unweigerlich Gottesstrafen nach sich. Weltliche Gesetze und Traditionen gelten gemäß diesem Normenverständnis als nachrangig oder illegitim, sollten sie den göttlichen Normen zuwiderlaufen.

Diese Vorstellung ist den monotheistischen Religionen als Potential inhärent, darauf hat Jan Assmann in seiner Untersuchung zur „mosaischen Unterscheidung“ hingewiesen. Als politisches Argument wurde die Theokratie jedoch nur in bestimmten kulturellen Kontexten wirksam, mit je spezifischen Folgen für die Stabilität der politischen Herrschaft: der situative Bezug auf die „Königsherrschaft Gottes“ konnte bestehende politische Institutionen und Verfahren stabilisieren oder in Frage stellen. Er bot damit ebenso Chancen wie Risiken für die Inhaber politischer Herrschaft. Wer sich auch immer des theokratischen Arguments bediente, besaß damit die Möglichkeit, die konstitutionell etablierten Abläufe politischer Herrschaft zu überschreiten.

Das Arbeitsprojekt versucht, ein Modell zu entwickeln, das den verschiedenen Spielarten theokratischer Herrschaftskonzeption Rechnung trägt und damit auch im kultur- und epochenübergreifenden Vergleich eine typologische Klassifizierung ermöglicht. Im einzelnen soll vor allem danach gefragt werden, in welchen Erscheinungsformen das theokratische Argument auftrat, welche Akteure oder Statusgruppen sich seiner jeweils bedienten, und welche politischen und gesellschaftlichen Folgewirkungen damit jeweils verknüpft waren. Die unterschiedlichen Typen theokratischer Herrschaft lassen zugleich, so die Ausgangsvermutung, die gesamte Spannbreite des integrativen wie desintegrativen Potentials von Religion erkennen. Sie ermöglichen damit Aussagen über das Wechselverhältnis von Religion und Herrschaft insgesamt — zumindest für die Zeit- bzw. Kulturräume, in denen beide Bereiche noch nicht in separate funktionale Teilsysteme differenziert waren.

Im einzelnen ist daran gedacht, im Förderungszeitraum zwei empirische Einzeluntersuchungen zur Antike einerseits sowie zur Frühen Neuzeit andererseits zum Abschluss zu bringen, die beide unmittelbar mit dem gemeinsamen Arbeitsprojekt verknüpft sind:

1. Kai Trampedach: "Monarchie versus Theokratie. Antike Herrschaftslegitimationen unter jüdisch-christlichem Vorzeichen". Die biblische Rede von der „Königsherrschaft Gottes“ ließ zu, dass die Monarchie sowohl als Gegensatz wie als Verwirklichung der Theokratie verstanden werden konnte. Bemerkenswerterweise konnte über beide Varianten ein Zugang zu oppositionellen Diskursfeldern gefunden werden. Eine Monarchie, die sich mit einem theokratischen Gewand schmückt, muss sich am strengen Maßstab des Gesetzes oder der Nachahmung Christi messen lassen. Der Verfasser möchte die ambivalente Wirkung antiker theokratischer Herrschaftslegitimationen an Hand der jüdisch-hellenistischen Dynastie der Hasmonäer (165-66 v. Chr.) sowie des spätantiken römischen Kaisertums in Konstantinopel (5.-6. Jahrhundert n. Chr.) untersuchen – und zwar sowohl auf diskursiver Ebene als auch in ihren praktischen Implikationen für die Stabilität der jeweiligen Monarchien.

2. Andreas Pečar: „Biblizistische Rhetorik. Die Stuartmonarchie unter Jakob VI./I. und Karl I. (1584- 1642) – Verkörperung oder Negation theokratischer Herrschaft?“ Der Verfasser versteht unter Biblizismus eine Argumentation, die zur Formulierung politischer Aussagen, Forderungen und Ziele wesentlich auf biblische Maximen und Exempla zurückgreift. Diese Argumentation weist der Bibel damit die Rolle einer entscheidenden Autoritätsinstanz bei der Rede über politische Herrschaft zu. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Tatsache, dass in der historischen Forschung zum englischen Bürgerkrieg und zur Stuartmonarchie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwar eine heftige Debatte darüber im Gange ist, welcher Stellenwert der Religion für das politische Denken der Zeit sowie speziell für den Ausbruch des Bürgerkrieges in Schottland (ab 1637) sowie in England (ab 1642) zugeschrieben werden muss. Interessanterweise wird einem Themenfeld, das zur Beantwortung dieser strittigen Frage wesentlich sein dürfte, jedoch nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt: der biblizistischen Rhetorik der Zeit, insbesondere der biblizistischen Rede über Monarchie und Herrschaft.

Neben den Einzeluntersuchungen – und gleichsam als analytischer Ertrag derselben – wollen beide Verfasser die gemeinsame Arbeit an einem epochen- und kulturübergreifenden Modell vorantreiben – mit dem Ziel, sie möglichst bald in einer kurzen Kollektivmonographie oder einem langen, programmatischen Aufsatz vorzustellen. Außerdem ist daran gedacht, Ergebnisse der begrifflichen Überlegungen zu gegebener Zeit auf einer Tagung des Exzellenzclusters zur Diskussion zu stellen.