Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Das Spiel der Namen

Frauen, Familie und Gesellschaft in Konstanz (ca. 1350 - ca. 1510)

Dr. Christof Rolker

Teilprojekt des Forschungsprojektes „Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung

Abstract

Namen spielen bei der Ausbildung personaler Identität ebenso wie bei sozialer Integration eine zentrale Rolle. In der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft waren Namen alles andere als stabil; sie wurden erworben, geändert und aufgegeben. Die Untersuchung der faktischen Vielnamigkeit stellt einen einzigartigen Zugang insbesondere zur weiblichen Identität dar, da Frauen noch weit häufiger als Männer verschiedene Namen erwarben und führten. Welchen Gebrauch machen Frauen von den unterschiedlichen (Familien-)Namen, die sie durch Geburt und Heirat(en) erwarben? Es ist ein häufiges anachronistisches Fehlverständnis, diese Namen als „Mädchenname“ bzw. „Ehenamen“ zu interpretieren. Der soziale Kontext und auch individuelle Entscheidungen, nicht der „Zivilstand“ bestimmten die weibliche Namensführung. Diese Einsicht ist entscheidend für das Verständnis der häufig völlig übersehenen weiblichen Mehrnamigkeit. Frauen erwarben häufig durch Heirat einen neuen Familiennamen – allerdings ohne unbedingt früher erworbene Namen auszugeben. Welcher Name jeweils aktualisiert wurde (sei es in Selbst- oder Fremdbezeichnungen), konnte von zahlreiche, auch situativen Faktoren abhängen. Die Namensführung stellt daher eine wertvolle Quelle für die sich wandelnde (Selbst-)Zurechnung der oder des Einzelnen zu verschiedenen sozialen Gruppen und insbesondere zum Ort der verheirateten Frauen zwischen ihrer Herkunftsfamilie und der Familie des Ehemannes.

Die klassische Onomastik, die weitgehen nur bestimmte serielle Quellentypen nutzt, hat die weibliche Mehrnamigkeit in der mittelalterlichen Stadt meist ignoriert. Das hängt zum einen damit zusammen, daß bestimmte Quellen Frauennamen in unterschiedlicher Weise tradieren. Nach meinen bisherigen Quellenstudien gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen der Benennung von Frauen im administrativen Schriftgut und den weiblichen Selbstbezeichnungen, die sich in erhaltenen Ego-Dokumenten finden. Jedoch geht es nicht nur um verschiedene Genres von Schriftquellen. Fundamentale Unterschiede können auch zwischen verschiedenen Medien beobachtet werden; um zu verstehen, welche Beziehung Frauen zu ihrer eigenen Mehrnamigkeit hatten, müssen daher auch Siegel und Wappen berücksichtigt werden.

Schließlich deutet sich im Vergleich verschiedener spätmittelalterlicher Stadtgesellschaften an, dass die lokalen Unterschiede erheblich sind. Während die Frauennamen in den einzelnen Quellenarten über lange Zeit, teilweise über Jahrhunderte, weitgehend gleichförmig sind, konnten sie von Stadt zu Stadt und zwischen verschiedenen Städtelandschaften erheblich variieren. Die Selbst- und Fremdbezeichnungen von Frauen in Städten wie Konstanz, Basel, Köln, Lübeck oder Wien scheinen einem Muster zu folgen, das mit unterschiedlichen Graden weiblicher Handlungsfreiheit korreliert. Teilweise ist die Namensführung unmittelbar mit der weiblichen Verfügungsgewalt über ihr Eigengut innerhalb der Ehe verbunden. Dennoch ist die Verfügung über den eigenen Namen mehr als nur ein Epiphänomen ihrer ökonomischen Stellung. Namenführung ist vielmehr ein geschlechtsspezifisches Medium der Selbstdarstellung und der Selbstzurechnung.

Damit verbindet sich meine Untersuchung weiblicher Namensführung mit der größeren Fragen nach familiaren Identitäten in der spätmittelalterlichen Stadt. Die jüngere Forschung in diesem Bereich hat sich zum großen Teil auf die reichen Quellenbestände, wie sie für Südfrankreich und Norditalien zur Verfügung stehen, gestützt. Die Arbeiten von Christiane Klapisch-Zuber zu Florenz sind dabei grundlegen auch für mein Projekt. Wie sie in einer Reihe von Studien zeigte, ist die Namensgebung ein wichtiges Mittel der bewußten Pflege des Familienbewußtseins, und der Wechsel von Namen (und Wappen) konnten der Manipulation solcher familiaren Identitäten dienen. Viele ihrer Erkenntnisse können auch für die Stadtgesellschaften nördlich der Alpen fruchtbar gemacht werden – trotz einer fundamental anderen Quellenlage. Ziel meiner Arbeit ist es, diese und verwandte Ansätze auf Konstanz im späten Mittelalter anzuwenden und zugleich einen vergleichenden Blick auf Städte wie Basel, Nürnberg und Stralsund zu werfen. Ein für Ende 2008 geplanter internationaler Kongress unter der Leitung von Professor Gabriela Signori und mir soll ebenfalls dazu beitragen, eine städtevergleichende Perspektive zu stärken und unterschiedliche Ansätze zur Erforschung von (Frauen-)Namen, Familie und Identität in der Stadt des späten Mittelalters zu diskutieren.

Publikationen

Buchcover

Gabriela Signori und Karin Czaja (Hg.): Häuser, Namen, Identitäten. Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Konstanz: UVK, 2009. (Spätmittelalterstudien 1)

Cover

Christof Rolker und Gabriela Signori (Hg.): Konkurrierende Zugehörigkeit(en). Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich, Konstanz: UVK, 2011. (Spätmittelalterstudien 2)

Konkurrierende Zugehörigkeiten. Mittelalterliche Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich
Vortrag im Rahmen der Clustertagung, Juli 2010, Ittingen
Gabriela Signori, Christof Rolker, Karin Czaja, Lilach Assaf
Vortragstexte, Präsentation