Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Georgien und Russland

Prozesse der Desintegration von 1970 bis 1987/88

Prof. Dr. Bianka Pietrow-Ennker, Mariami Parsadanishvili

Abstract

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über Imperien erarbeitet das Projekt die kulturellen Grundlagen von Integration am Beispiel der georgisch-sowjetischen Beziehungen. Im Mittelpunkt stehen die Desintegrationsprozesse Georgiens im transkulturellen Kontext. Anhand der Untersuchung der georgischen Dissidentenbewegung innerhalb der antisowjetisch ausgerichteten nationalen Opposition und anhand des georgischen Filmes als breiter Plattform der Gesellschafts- und Systemkritik wird für den Zeitraum 1970 bis 1987/88 das Spannungsfeld zwischen sowjetischen Integrationsstrategien und georgischer Resistenz untersucht.

Im Forschungsbereich der georgischen Dissidentenbewegung, welcher den Hauptteil der Arbeit bilden soll, wird der primäre Fokus auf die Aktivitäten der national gesinnten Gruppen als anti-imperiale Akteure gerichtet. Hierbei arbeitet die Untersuchung exemplarisch heraus, was die Hauptziele der analysierten Gruppierungen waren und wie sie kommunikativ und medial in die Gesellschaft hineingetragen wurden. Die Materialbasis bilden in diesem Forschungsbereich sowohl ausgewählte journalistische als auch wissenschaftliche Beiträge aus Samizdat-Zeitungen/Zeitschriften (bspw. Sakartvelo/dt. Georgien, Okros Satsmisi/dt. Das Goldene Vlies, Sakartvelos moambe/dt. Georgischer Herold, Matiane/dt. Chroniken).

Darauf folgt die Analyse des georgischen Filmes, der zu einem bedeutenden Teil als Plattform der sowjetischen Gesellschafts- und Systemkritik diente und dementsprechend aufgrund seines avantgardistischen Charakters von der Zensur unterdrückt wurde. Dies wird anhand von ausgewählten Beispielen des Gruzija-Filmes untersucht. Der Rückgriff auf die klassische georgische Literatur und Folklore spielte bei der Herausbildung des nationalen Films eine bedeutende Rolle.

Unter diesen Gesichtspunkten ist das Spannungsverhältnis zwischen Georgien und Russland ein innovativer Forschungsgegenstand. Trotz seiner direkten politischen und ökonomischen Abhängigkeit von der Sowjetunion konnte Georgien an der Peripherie des Imperiums dauerhaft Elemente eigenständiger kultureller Identität bewahren. In der transnationalen Kommunikation entwickelte sich eine wachsende Spannung zwischen den sowjetischen Integrationsstrategien einerseits und dem kulturellen Widerstand andererseits, der von georgischer Seite entgegengesetzt wurde. Durch diese Distanzierungsbestrebungen, die ihre Ursprünge in den 1970er Jahren hatten, wurde und wird die gegenwärtige georgische Außenpolitik geprägt. Nach der Auflösung der Sowjetunion sind die Beziehungen zwischen Georgien und Russland unter dem Beziehungsmuster internationaler Asymmetrie der nachkolonialen Zeit zu charakterisieren, wobei Russland auffällig und bestimmend eine quasi-koloniale Kontrolle über Georgien im Sinne eines „informal empire“ anstrebt.

Mit seinem zusätzlichen Fokus auf die aktuelle außenpolitische Dimension des georgisch-russischen Verhältnisses leistet das Projekt einen Beitrag zum Verständnis gegenwärtiger gesellschaftlicher Problemlagen und knüpft damit an eines der grundlegenden Ziele des Exzellenzclusters an.