Entschädigungsbewegungen von Kolonialsoldaten des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, Großbritannien und den USA
Transnationale Dimensionen und nationale Voraussetzungen
Abstract
Im Mittelpunkt des Projekts steht die Analyse von Entschädigungsbewegungen von Kolonialsoldaten des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, Großbritannien und den USA, die seit der Jahrtausendwende in den drei Ländern erfolgreich Ansprüche auf Rentenzahlungen und/oder Aufenthaltsrechte artikuliert und durchgesetzt haben. Trotz ihrer hohen Bedeutung für das Kriegsgeschehen stellte der Beitrag kolonialer Truppen fast sechzig Jahr lang ein weitgehend ausgeblendetes Kapitel der europäischen und US-amerikanischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs dar. Obwohl in Frankreich, Großbritannien und den USA eine intensive Reflexion des Zweiten Weltkriegs stattfand, wurde die Rolle der Kolonialsoldaten nicht thematisiert, und Forderungen von ehemaligen Soldaten fanden in der Öffentlichkeit kaum Gehör. Wie lässt sich erklären, dass es in den letzten Jahren einer jahrzehntelang von Historiographie und Erinnerungspolitik marginalisierten Gruppe im gleichen Zeitraum in sehr unterschiedlichen Länderkontexten gelungen ist, Ansprüche auf Anerkennung in der öffentlichen Debatte zu verankern und sie erfolgreich durchzusetzen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens. Es untersucht die These, dass trotz der globalen Ausbreitung von Entschädigungsbewegungen wesentliche Bedingungsfaktoren für ihre Entstehung und ihren Erfolg auf nationaler Ebene liegen. Vergangenheitsrevisionen in ehemaligen Kolonialstaaten und Gegenwartsinteressen von Akteuren im Nationalstaat sind die Grundvoraussetzung für die erfolgreichen Mobilisierungen von Kolonialveteranen aus Westafrika, Nepal und den Philippinen. Dabei spielt insbesondere die Unterstützung von Migranten-Communities aus den Herkunftsländern der Kolonialveteranen eine Rolle, die das Thema zur Artikulation eigener aktueller Forderungen nach Integration nutzen.
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, zu generalisierenden Aussagen über Faktoren zu kommen, die den Erfolg von Entschädigungsbewegungen bedingen, und ein Modell von grenzüberschreitender Vergangenheitspolitik vorzulegen, das sowohl Einflussfaktoren auf nationaler und transnationaler Ebene als auch die Interaktion von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren berücksichtigt. Dazu werden in dem Forschungsvorhaben Erkenntnisse der kulturwissenschaftlichen Erinnerungs- und Gedächtnisforschung mit politikwissenschaftlichen Ansätzen zu den Bedingungen und Formen grenzüberschreitender Politisierungsprozesse verknüpft. Erinnerungstheoretische (Grund)annahmen wie der soziale, instrumentelle und selektive Charakter von Erinnerung, die Bedeutung von Übergängen vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis, die Entstehung globaler Erinnerung sowie die Annahme einer Emergenz postnationaler Gedächtnisregime sollen mit politikwissenschaftlichen Konzepten zur Interaktion von nationaler und transnationaler Ebene bei der Entstehung politischer Entscheidungen im Nationalstaat verbunden werden. Es soll ein Analysemodell entwickelt werden, mit dem sich die (erfolgreiche) Politisierung von vergangenheitsbezogenen Forderungen über nationalstaatliche Grenzen hinweg theoriegeleitet erfassen und empirisch nachvollziehen lässt. Dabei soll das Forschungsvorhaben gleichzeitig zur politikwissenschaftlichen Forschung zu Governanceprozessen im Mehrebenensystem und zur Rolle transnationaler Akteure bei politischen Entscheidungen im Nationalstaat beitragen.