Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Imaginarration

Bilder erzählen - Ekphrasis und Ikonoklasmus

Prof. Dr. Barbara Kuhn

Abstract

Das geplante Forschungsprojekt fragt nach dem Verhältnis von Narration und Bildlichkeit im Text: danach, wie Bilder sich in Sprache manifestieren, wie Sprache Körper ins Bild setzt, aber auch, wie Bilder im Text und über Textgrenzen hinaus agieren, mithin zu imagines agentes nicht nur im Sinne der Mnemotechnik, sondern in einem umfassenden anthropologischen Sinn werden. Das mit Hilfe der gewährten Anschubfinanzierung zu erarbeitende Projekt wird das Wirken solcher agierender und interagierender Bilder, die mittels der Sprache im Kopf der Leser entstehen und diese zu Betrachtern der imaginären Bildwelten machen, ausgehend von der Frage nach den Funktionen der sprachlichen Bilder im (zunächst) frühneuzeitlichen Text, auf mehreren Wegen verfolgen, die jeweils Brücken schlagen von einer kulturwissenschaftlich verstandenen Literaturwissenschaft zu Anthropologie, Kunstwissenschaft und Religionswissenschaft. Ausgangspunkt der Überlegungen und zugleich Anstoß zu weiterer Vertiefung ist dabei die Beobachtung, dass erzählten Bildern häufig ein integratives Potential zukommt oder unterstellt wird, das nicht selten in ein desintegratives Potential umzuschlagen droht oder tatsächlich umschlägt, insofern die Bilder in der Vorstellung nicht zwangsläufig festgestellt werden, sondern in zumindest doppeltem Sinn ein desintegratives Potential zu entfalten vermögen.

Denn zum einen erzeugt die unvermeidliche Unbestimmtheit sprachlich erzeugter Bilder, die immer als Appell an die mehr oder minder ausgeprägte Vorstellungskraft oder Ein-Bild-ungskraft fungieren und folglich allen Reduktionsbemühungen des Textes zum Trotz völlig heterogene Bildwelten entstehen lassen können, eine Vieldeutigkeit, die in ihrer Bedeutung weit über die oft zitierte Enttäuschung ob der Illustration literarischer Texte hinausreicht, die vielmehr für die Texte selbst konstitutiv wird, insofern deren ‹bildgestützte› oder ‹einge-bild-ete› Lektüre jeder Intention zuwiderlaufen muss. Zum anderen – und dieser bislang weniger beachtete Aspekt soll vor allem analysiert werden – entfaltet sich das desintegrative Potential erzählter Bilder insbesondere dort, wo diese Bilder die ihnen vom Text quasi gesetzten Grenzen sprengen, wo sie dank ihres imaginativen Potentials das sie eigentlich Umrahmende überwuchern und so die Funktion der Bebilderung unterlaufen, weil entweder das zu Bebildernde über dem Bild vergessen wird oder aber das erzählte Bild das das Bild Erzählende geradezu durchstreicht, mit anderen Worten: weil die Ekphrasis selbst zum Ikonoklasmus wird. Detaillierte narratologische und rhetorische Analysen vor allem frühneuzeitlicher Texte sollen dem subversiven Agieren solcher Bilder nachgehen, um so – über die Frühe Neuzeit hinaus und insbesondere im Blick auf die von einer Fülle von Bildern dominierten Gegenwart – zu Aussagen über das Verhältnis von Narration und Bildlichkeit generell zu gelangen.

Mit dieser Subversivität von Bildern verbindet sich ein weiterer Fokus des zu erarbeitenden Projekts: die Frage nach dem ‹Betrachter› der erzählten Bilder, den es – nicht zuletzt aufgrund seiner bedeutungsschaffenden Funktion – nicht aus dem Auge zu verlieren gilt. Solche Betrachter können zum einen im Text erzählte Figuren sein, deren Blick für den Leser und vor seinen inneren Augen das Bild allererst erschafft, damit aber zugleich die Perspektive, aus der das imaginäre Bild gesehen werden soll, vorgibt. Entsteht so bereits intratextuell die Möglichkeit der Kollision unterschiedlicher Blicke – wobei nicht nur die points de vue der erzählten Figuren, sondern zugleich deren Verhältnis zur Erzählstimme zu analysieren wären –, vervielfachen sich die möglichen Blicke durch den ‹anderen Betrachter›, den extratextuellen Blick des Lesers, der sich dem von der Erzählinstanz erzählten Blick nicht zwingend anschließen muss. Auch in dieser Hinsicht soll folglich das integrative wie das desintegrative Agieren der erzählten und gelesenen Bilder untersucht werden, um so über die Frage nach der Entstehung von Bedeutung durch Bilder in einem Text, die immer auch die Frage nach Wahrnehmung und Steuerung von Wahrnehmung ist, zu Erkenntnissen über Entstehung und Wirkung von Bildern generell zu gelangen.

In diesem Sinn betrachtet das geplante Projekt Bilder gleichsam als Subjekt und als Objekt des Erzählens und geht dabei insbesondere der Wechselwirkung zwischen beiden Bedeutungen des Syntagmas nach, denn «Bilder erzählen» meint sowohl das, was Bilder erzählen, das, was sie zu ‹sprechenden Bildern› macht, als auch das Erzählen von Bildern, das seinerseits – zwangsläufig – Bilder schafft und über die Bilder als Objekt das erzählende Subjekt allererst entwirft. Es gilt folglich, den Zusammenprall von imago, imagines und imaginatio in der narratio zu erforschen.