Familienbesitz und -bewusstsein
Patrizierhäuser und familiare Identität im spätmittelalterlichen Nürnberg
Teilprojekt des Forschungsprojektes „Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung“
Abstract
Seit längerem ist in der Geschichtswissenschaft bekannt, dass weniger die exakte Anzahl von Vor- und Nachfahren, als vielmehr das eigene Bewusstsein ausschlaggebend für die Definition von Familie im Mittelalter war. Bedeutend ist dabei vor allem die Position, welche der einzelne innerhalb des Systems „Familie“ einnahm und die Frage, inwieweit Vorfahren eine legitimierende Funktion besaßen. Greifbar wird familiares Selbstbewusstsein vorrangig an bestimmten systemischen Bruchstellen. Ein wichtiger Moment, in dem die Beziehungen und Prioritäten innerhalb der Familie deutlich werden, ist der der Weitergabe des Besitzes, da materielle Güter das Bewusstsein ebenso bestimmten, wie das Wissen um die Herkunft einer Familie.
Das Projekt versucht in verschiedener Hinsicht der Bedeutung des Besitztransfers innerhalb der bürgerlichen Familie für die Ausprägung einer familiaren Identität zu klären und zwar exemplarisch für das spätmittelalterliche Nürnberg. Unter den Gütern soll ein besonderes Augenmerk auf die Häuser gerichtet werden, um zu ergründen, ob ihnen bei der Reproduktion von Identität eine ähnliche Rolle wie den Stammgütern des Adels zukam.
Die Quellengrundlage dazu bilden Urkunden des Besitztransfers wie Testamente, Ehe- und Erbverträge. Neben den einzeln ausgefertigten Urkunden besteht eine weitere Möglichkeit um möglichst viele derartige Dokumente für eine Familie in den Blick nehmen zu können in der Hinzuziehung von Kopialbüchern. Für die Familie Rieter existieren beispielsweise mehrere Kopialbücher mit Abschriften von Urkunden des 15. Jahrhunderts, von denen sich viele mit der Weitergabe von Besitz befassen. In dieser Zeit stieg die Familie in die Nürnberger Führungsschicht auf. Anhand der vorhandenen Testamente und Erbteilungsverträge lässt sich verfolgen, wie sich die familiäre Identität über einen Zeitraum von über 120 Jahren mit einem Haus verband, dem sicherlich das Prädikat „Stammsitz“ zukam. Das älteste der drei Kopialbücher, das um das Jahr 1445 herum angelegt wurde, enthält neben den Urkundenabschriften einige Folios mit familiengeschichtlichen Notizen. Damit stehen den rechtlichen Dokumenten Aufzeichnungen gegenüber, die – zumindest auf den ersten Blick – subjektiverer Art zu sein scheinen. Die Frage stellt sich, inwieweit beide Überlieferungsteile sich ergänzten und damit verknüpft, welche Bedeutung diese Zusammenstellung für das innerfamiliäre „Beziehungsmanagment“ (Simon Teuscher) hatte. Ähnliche Quellenlagen sind auch bei anderen Nürnberger Familie anzunehmen, die vergleichend berücksichtigt werden sollen.
Neben diesen schriftlichen Quellen ziehe ich die heute zum Teil noch erhaltenen Stiftungen der Familien heran. Sie bilden, wie das Stammhaus, einen sichtbaren materiellen Ausdruck des Familienbewusstseins in der Stadt, sind sowohl Teil der Repräsentation als auch der intrafamiliaren Werteproduktion.
Publikationen
Gabriela Signori und Karin Czaja (Hg.): Häuser, Namen, Identitäten. Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Konstanz: UVK, 2009. (Spätmittelalterstudien 1)
Christof Rolker und Gabriela Signori (Hg.): Konkurrierende Zugehörigkeit(en). Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich, Konstanz: UVK, 2011. (Spätmittelalterstudien 2)
Konkurrierende Zugehörigkeiten. Mittelalterliche Praktiken der Namengebung im europäischen Vergleich
Vortrag im Rahmen der Clustertagung, Juli 2010, Ittingen
Gabriela Signori, Christof Rolker, Karin Czaja, Lilach Assaf
Vortragstexte, Präsentation