Schreiben in Archipelen
Aphorismus und Sprichwort in (post-)kolonialen Kontexten französischer, spanischer und portugiesischer Sprache
Abstract
Ausgangspunkt des Habilitationsprojektes bildet die Beobachtung, dass die Literaturen der post-kolonialen Romania (vor allem Zentralamerikas einschließlich der Karibik, Brasiliens, des Südpazifiks, des Indischen Ozeans) eine relativ hohe Dichte von Aphorismen und Sprichwörtern aufweisen, sowohl in Form von Sammlungen als auch eingeflochten in andere Gattungen. Aphorismus und Sprichwort sowie die ihnen verwandten Spruchgattungen werden vorläufig als konzise Formen verstanden, die ein aus einer Summe von Erfahrungen oder Beobachtungen abgeleitetes Wissen zusammenfassen, wobei sich der Aphorismus vom Sprichwort durch seine Literarizität im Sinne einer Alltagsenthobenheit unterscheidet.
In der gewählten Fragestellung laufen zwei Forschungstraditionen zusammen: die romanischen Studien zur kulturellen Globalisierung und eine gattungstheoretische Untersuchung des französisch-, spanisch- und portugiesischsprachigen Aphorismus, der außerhalb von Europa noch wenig erforscht ist.
Das Projekt verbindet literaturwissenschaftliche Grundlagenforschung mit (post-)kolonialen, vor allem kreolischen Kontexten und kann so nachweisen, wie der Aphorismus, der in Frankreich und Spanien auf die Moralistik des 17. und 18. Jahrhunderts zurückgeht, im Zuge der Globalisierung unter veränderten historischen und geographischen Bedingungen angeeignet und transformiert wird und wie er durch vergleichbare Kurzformen aus einer oralen Tradition Konkurrenz erhält, wodurch europäische Gattungskonventionen in Frage gestellt werden. Ausgehend von der durch mehrere Aphoristiker verwendeten Metapher des Archipels geht das Projekt der Frage nach, inwiefern Aphorismus und Sprichwort einer Poetik der Archipelisierung (Edouard Glissant) folgen, mit der sie die Merkmale eines fragmentarischen, häufig blitzartigen und opaken Schreibens verbindet, das sich herrschenden Denkweisen widersetzt.