Wege in die Gesellschaft
Personenkonzepte und soziale Adressierungen im monastischen Kontext des späten Mittelalters
Teil des Forschungsprojektes „Klöster und Klausen am Bodensee. Integration und Desintegration einer Klosterlandschaft“
Dr. Michael Hohlstein
Abstract
Mit dem Eintritt in ein Kloster ist der Rückzug aus der Welt verbunden. Die Regula Benedicti etwa fordert von jenen, die sich zu einem monastischen Leben entschließen, eine Absage an das ‚alte’ Leben in der Welt und eine vollkommene Erfüllung einer normativen Erwartung: klösterliches Leben als contemptus mundi, als vollumfängliche Absage an die Welt außerhalb des Klosters. Der Versuch, der Welt zu entsagen, war aber unweigerlich auf die Welt verwiesen. Kloster und Welt ließen sich nie in der gewünschten Schärfe trennen, sondern standen über die Jahrhunderte hinweg in einem fortwährenden Austauschprozess, der beide veränderte. Dabei sind es nicht allein Institutionen, die von der Klausurmauer voneinander getrennt sein sollten und doch in Austauschbeziehungen standen, wie etwa das Kloster mit der Stadt, sondern auch die einzelnen Mönche und Nonnen mit den sozialen Gruppen außerhalb des Klosters.
Das Projekt setzt an diesem Phänomen an. Unter Zuhilfenahme eines kommunikationstheoretischen Ansatzes wird ein Personenkonzept entwickelt, anhand dessen die vielfältigen Möglichkeiten der sozialen Einbindung von Nonnen aufgezeigt werden können. Die Kommunikationstheorie spendet dabei zwei Perspektiven auf die Quellen: zum Einen wird normatives Schriftgut lediglich als ein möglicher Generator von Erwartungen zugrunde gelegt. Die Austauschbeziehungen sind bisher zumeist aus der Perspektive des Verfalls eines klösterlichen Ideals betrachtet worden, die Wende auf eine gesamtgesellschaftliche Perspektive kann in der Analyse der Kommunikation vollzogen werden, denn „[e]rst die Reaktion schließt die Kommunikation ab und erst an ihr kann man ablesen was als Einheit zustande gekommen ist.“ (N. Luhmann) Zum Anderen lenkt die Kommunikationstheorie den Blick auf die soziale Praxis der Kommunikation an der Nonnen teilhatten, die sich nicht in den normativen Quellen finden lässt.
Es sind besonders Quellen einer alltäglichen Praxis, die in den Urkunden des Spätmittelalters überlebt haben, die uns mit einer kommunikativen Praxis konfrontieren, mit der die Möglichkeiten sozialer Adressierungen aus dem monastischen Kontext heraus ausgeleuchtet werden können. Daraus gewinnt das Projekt seine These: Personenkonzepte, die multiple Adressen in sich vereinen können und somit in den unterschiedlichen sozialen Räumen adressierbar werden, sind die Grundeinheit der sozialen Integration. Über Einzelne sind Annäherungen sozialer Räume möglich und, wenn sich die Adressen in beiden Räumen verfestigen und auf gewisse Dauerhaftigkeit gestellt werden, Kreuzungen der sozialen Räume. Einzelne sind in der Lage zwischen sozialen Räumen zu vermitteln, durch ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Räumen haben sie die Möglichkeit, Verbindungen herzustellen und so nicht nur selber verschiedene Räume zu betreten, sondern auch Räume näher aneinander zu bringen. Die Erweiterung des Spektrums der Personen um distinkte soziale Adressen zeigt dabei, dass die spätmittelalterliche Gesellschaft viel weniger unter dem Primat einer segmentär-stratifikatorischen Differenzierung, denn einer beginnenden funktionalen Differenzierung zu sehen ist. Personen sind im Besitz einer Anzahl von distinkten Adressen, durch die sie in funktional unterscheidbaren Kontexten kommunizieren können und dadurch Teil haben an sozialen Räumen. So wird mit der Erfassung sozialer Adressbildungen zugleich ein wesentlicher Beitrag zur Analyse der sozialen und kulturellen Grundlagen von Integration geleistet, in dem das Spektrum an Adressabilitäten, seine Verstetigung und Veränderung in der Zeit, die paradigmatischen Möglichkeiten als strukturelle Voraussetzung für die Integration sozialer Räume in kommunikativer Praxis in den Blick kommen und letztlich Gesellschaft als „Horizont aller möglichen Kommunikationen“ (A. Nassehi) sichtbar wird.
Für die Analyse der Ausbildung sozialer Adressen als elementare Voraussetzungen von Desintegration und Integration bietet sich ein Blick in die zahlreichen Frauenkommunitäten des Bodenseeraums an, insbesondere des südwestlichen Untersuchungsraumes, die sich in den heutigen politischen Grenzen der schweizerischen Kantone Thurgau und Schaffhausen. Frauenkommunitäten, eben weil der Anspruch des contemptus mundi an die Frauen des monastischen Lebens noch einmal umso einschränkender formuliert worden ist. Die Inkorporation in Orden war geknüpft an die strengste Form der Klausur und die Gewährleistung einer gewissen finanziellen Stabilität, da die Frauen nur begrenzt weltliche Aufgaben erfüllen konnten und von den wohltätigen Spenden und Stiftungen von außerhalb abhängig waren – auch wenn sich in Nuancen Unterschiede in den einzelnen Ordensregeln finden lassen. Eine Auswahl erfolgte daher bewusst ordensübergreifend. In den Blick kommen die Klarissen von Paradies, die Zisterzienserinnen von Tänikon, die Dominikanerinnen von St. Katharinental, die Augustinerinnen von Münsterlingen und die Benediktinerinnen von St. Agnes.