Herbst des Helden
Der Heros als Leitbild in England und Frankreich im Zeitalter der Konfessionskriege und der barocken Monarchie (ca. 1560-1715)
Abstract
Die Studie, die in Konstanz abgeschlossen werden soll, wird dem Wandel der Gestalt des Heros (oder der Heldin) als politischer und religiöser Identifikationsfigur in England und Frankeich von der Mitte des 16. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts nachgehen. Sie geht dabei davon aus, dass sich in heroischen Figuren größere Sinnzusammenhänge konkretisieren. Die suggestive Präsenz der Heldenfigur als gestalthaft und handelnd kann – mehr als „Repräsentanz-Zeichen“ dies vermögen – Sinnfragen suspendieren und Komplexitäten reduzieren, indem sie ein Handeln provoziert, das nicht mehr eigens reflektiert wird. Die Orientierung an heroischen Figuren erhält so den Status einer Letztbegründung: Gerade darin liegt, um die Begrifflichkeit Max Webers aufzugreifen, ihre charismatische Wirkung, die Gefolgschaft nach sich zieht. Zugleich sind Heroisierungen in der Regel nicht unbestritten, sondern Gegenstand und Ergebnis hegemonialer Kämpfe: Helden und ihre Taten sind wie andere Symbole auch einer agonalen Herausforderung durch De- bzw. Gegen-Heroisierungen konkurrierender Gruppen und/oder in der eigenen Gruppe ausgesetzt, so dass es zu Umwertungen in der Bewertung eines Helden kommen kann.
Methodisch wird die Heldenfigur zu einem potenten gesellschaftsanalytischen Leitmotiv, wenn man sie auf die Kategorie der Identität bezieht. In diesem Sinne verstanden, gehören Heldenfiguren gewissermaßen zur „Großen Symbolik“ einer Gesellschaft, die sich mit ihrer Hilfe des eigenen Wertehorizontes versichert. Oft handelt es sich um „Kollektivsymbole“, die mit historischen Mythen verbunden sind und die lebensweltlicher Erfahrung eine höhere Bedeutung verleihen. Rein begrifflich lässt sich die Wirkung der heroischen Figur nie ganz fassen; Wie andere auf normative Ordnungen verweisende Symbole verleihen Heldentat und Heldenfigur „dem argumentativ nicht Mitteilbaren, dem diskursiv nicht Ausdrückbaren eine eigene Sprache.“ (Hans Georg Soeffner). In dem Sinne ist auch festgestellt worden, dass die „Figur des Heros […], obschon selber Konfliktfigur […], den Menschen die Möglichkeit der Identifikation mit ihm eröffnet, indem er seine vornehmste Funktion, die der Vermittlung in Menschen mit Zerreißung bedrohenden fundamentalen Konflikten [.…] wahrnimmt.“ (Klaus Heinrich).
Dies sind, knapp formuliert, die strukturierenden Prämissen für eine Studie, die mit einem Blick auf die sich wandelnde monarchische Selbstinszenierung des Herrschers respektive der Herrscherin in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzen soll.
Die Studie will aber auch fragen nach der Zuspitzung spezifisch konfessionell gefärbter heroischer Leitbilder in dieser Epoche, als die konfessionellen Auseinandersetzungen in Westeuropa ihren Höhepunkt erreichten, und nach der Relativierung und Transformation dieser Leitbilder im Laufe des 17. Jahrhunderts..
Nach 1600 lässt sich namentlich in Frankreich beobachten, wie aus der kriegerischen Militanz der Liga ein spiritualisierter Heroismus des Glaubens wurde, der in der Askese ebenso seinen Ausdruck fand wie im Kampf für die tridentinische Reform in einer besonders rigoristischen Auslegung. Langfristig stellte freilich auch der sublimierte religiöse Heroismus der Dévots für den monarchischen Staat eine Gefahr dar. In England war umgekehrt – nach dem Scheitern aller Versuche, die Church of England auch institutionell noch weiter im Sinne Genfs zu reformieren in den 1590er Jahren – eine Tendenz festzustellen innerhalb des Puritanis-mus als einer „voluntary religion“ eher die reformatio vitae als die reformatio ecclesiae zu betonen. Die Verinnerlichung der Frömmigkeit konnte durchaus agonale, heroische Züge annehmen, stand jedoch zur offiziellen politischen und kirchlichen Ordnung weiter in einem Spannungsverhältnis. Das Arbeitsvorhaben soll diesen Konflikten nachgehen. Dabei sind die spezifischen Unterschiede zwischen protestantischen und katholischen Vorstellungen von Heldentum ebenso zu untersuchen, wie das Spannungsverhältnis zwischen eher säkularen Vorstellungen des Heroischen und religiösen.
Das Buch soll abschließen mit einem Blick auf die Jahre 1690-1715, als in Frankreich Ludwig XIV. stärker auf traditionelle sakrale Legitimationen seiner Herrschaft zurückgriff, da er sich nicht mehr ohne Einschränkung als heroischen Sieger darstellen lassen konnte, während in England Wilhelm III. eine Re-Heroisierung monarchischer Selbstdarstellung eingeleitet hatte. Dieses heroische Bild fand nicht zuletzt bei jenen Resonanz, die sich geleitet von republikanischen und antiklerikalen Idealen von der traditionellen Sakralmonarchie, die schwerlich von einer Episkopalverfassung iure divino zu trennen war, abwandten, aber auf eine monarchische Integrationsfigur dennoch nicht glaubten verzichten zu können. Ähnlich wie Cromwell ließ sich Wilhelm III. wahlweise als protestantischer Glaubenskämpfer und als eher säkularisierte Freiheitsheld nach antikem Vorbild inszenieren und deuten.
Mit der Krise der monarchischen Repräsentation, wie wir sie in Frankreich seit den 1680er Jahren, seit der Querelle des anciens et des modernes, beobachten können, der – relativen – Entwertung überkommener Sprachen der Heroisierung, wie insbesondere des Vokabulars antiker Mythologie und Geschichtsschreibung, und dem endgültigen Zurücktreten der heroischen Ideale des Rittertums, die schon über längere Zeit hinweg überwiegend nur noch spielerisch verwendet wurden, standen freilich im 18. Jahrhundert auch keine verbindlichen Modelle des Heroischen mehr zur Verfügung. Der Angriff auf das traditionelle Ideal des Kriegshelden für den besonders Fénélon steht, aber auch der literarische „mock-heroism“, in England, ließ zwar weder die Heroisierung einzelner historischer Gestalten noch heroische Lebensentwürfe an sich unmöglich werden, führte aber auch im Zusammenhang mit der einsetzenden Verbürgerlichung des Helden und der Aufwertung des nicht-adligen Kriegers seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, doch zu einer nicht mehr überschaubaren Pluralisierung heroischer Modelle, die dann im 19. Jahrhundert noch einmal zunehmen sollte. Insoweit stellt die Zeit um 1700 für Westeuropa ebenso wie für andere Ländern wirklich einen Einschnitt und einen Abschluss dar.