„Agon“ wurde als kulturtheoretischer Begriff in Ansätzen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts ins Spiel gebracht. Agon ist wörtlich abzuleiten von der öffentlichen Versammlung (der Agora) und ist eine Form des öffentlichen Auftritts. Insofern sollen mit „Agon“ Fragestellungen der „Poetiken des Auftritts“ fortgesetzt werden. Er hat als Wettkampf, der die griechische Polis zum Zeugen hat, eine Funktion sozialer Integration. Nach Burckhardt und mit Nietzsche wird der politische Interaktionsraum der Polis als Schauplatz des Agon modelliert, und umgekehrt sind ‚Auftritte als konstituierende Elemente demokratischer Öffentlichkeit’ zu erläutern (H. Arendt). Diese Funktion des Agon ist vor allem Nietzsche zufolge dadurch zu bestimmen, dass es nicht einen absoluten ‚Ersten’ gibt, sondern ein jeweils Besserer im Wettstreit sich zeigt.
Der Agon ist angewiesen auf die Zuschauer, auf die öffentliche Versammlung; das wird von Burckhardt und Nietzsche (eher am Rande) thematisiert; das verweist aber auf die Relation von Agon und Theater, die sich nicht darin erschöpft, dass in der griechischen Antike das Theater an den kulturellen Agonen teilhatte. Den strukturellen Zusammenhang zeigen vor allem Formulierungen Nietzsches an: Der Agon ermöglicht und erfordert, dass ‚die gegensätzlichen Kräfte hervortreten’. Sie erfordern ein Urteil, dem sie sich zugleich stellen. Nietzsches Formel vom „Kampf vor einem Tribunal“, hält den Agon überhaupt, den Gerichts-Prozess und die Tragödie zusammen. Im Agon, der der Prozess ist, wird jene ‚eigene Position‘ exponiert, die in diesem erst und jeweils sich herausbildet, indem sie hervortritt. Es soll gefragt werden, wie der ‚Dialog’ im Theater vom Agon her aufzufassen ist.
Des weiteren soll das Verhältnis von Agon und Theater im Anschluss an die aitiologischen Fiktionen von F.C. Rang und W. Benjamin betrachtet werden. Dadurch wird die theatrale Anordnung von Szene, Zu- und Abgängen und Zuschauern in den Blick genommen. Das Theater als Form des Entkommens aus dem dromos realisiere, so Rang, den „Sinn des griechischen Agon“. Demnach wäre die Szene als der Zwischen-Raum (an dem der Lauf des Fliehenden unterbrochen wird) und das theatrale Geschehen als im Aufschub ermöglichte Verhandlung unter den Augen der Zuschauer aufzufassen. Vor allem C. Vismann hat daran angeschlossen, und den Aufschub des göttlichen Urteilspruchs, der stets schon verhängt ist, herausgestellt, als der die das Verfahren der Tragödie statthat. Die Tragödie gibt, so C. Vismann, gegen den göttlichen Spruch, der schon gefallen ist, der Kontingenz, dem menschlichen Urteilen hier und jetzt (Spiel-)Raum.
Wenn derart der Ort der theatraler Exposition als provisorischer temporärer „Ort“ im Innehalten auf der Flucht zu denken ist, dann kann gerade dies über das Theater der Antike hinaus, mit historisch unterscheidenden Einsätzen – bis zur Gegenwart untersucht werden. Aktuell soll der Zusammenhang von „Flucht und Szene“ fokussiert werden. Die Beobachtung der Relation von Flucht und Innehalten, von flüchtend und „in Szene“ gesetzt soll, an die genannten Entwürfe zu „Agon und Theater“ anknüpfend in Perspektive der Poetiken des Auftritts erfolgen. Denn diese modellieren eine doppelte: physische und symbolische Relation von Bewegungen und Schauplatz. Die Flucht ist zunächst ein eher irregulärer Modus des Einzugs auf den Schauplatz; sie kann aber auch als Hikesie rituell gefasst sein. Aktuelle Theaterarbeiten, die aus naheliegenden Gründen das Theater dem Thema Flucht und den Fliehenden selbst öffnen, knüpfen daran an. Arbeiten wie E. Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ (2013) adressieren das Theater selbst in seiner Funktion als Szene für die fliehend Ankommenden.
Mit ihrer Bearbeitung der Tragödie „Hiketiden“, „Die Schutzflehenden“ von Aischylos erinnert sie an das Theater als den provisorischen Raum für Fliehende. Der fliehende Zugang ist auf eine Ankunft angelegt, die und deren Bedingungen zum einen im dramatischen Geschehen verhandelt wird, die zum andern über die zeitliche Erstreckung des theatralen Geschehens hinweg aufgeschoben ist.
Die Relation von Flucht und Innehalten soll auch hinsichtlicht der Relation von Auf- und Abtritt und Szene weiterverfolgt werden, eine Bemerkung Benjamins zum Anhaltspunkt nehmend: „Immer wieder, bei Shakespeare, bei Calderon füllen Kämpfe den letzten Akt und Könige, Prinzen, Knappen und Gefolge ‚treten fliehend auf‘. Der Augenblick, da sie Zuschauern sichtbar werden, lässt sie einhalten.“ Von der Bewegung her gedacht, die auf der Szene zum Einhalt kommt, ist die Szene als bedingter Auftrittsort zu kennzeichnen, der „auf der Flucht“ (diese temporär unterbrechend) erreicht, nicht zu jenem Ort wird, an dem ein Sich-Etablieren möglich wäre.