Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Napoleons Nachleben

Die Restauration in der französischen Literatur am Beispiel von Balzac

Dr. Anna-Lisa Dieter

Abstract

Nach dem Sturz Napoleons und dem Wiener Kongress steht Frankreich vor der größten Integrationsherausforderung der post-revolutionären Geschichte. Die Restauration tritt an, das alte, monarchisch-aristokratische und das neue, aus Revolution und napoleonischer Herrschaft hervorgegangene, Frankreich zu versöhnen. Union et Oubli, die zentrale Formel der von König Ludwig XVIII. unterzeichneten Verfassung, legt fest, wie der Integrationswille des aus der Emigration zurückgekehrten Monarchen in gesellschaftliche Praxis zu überführen sei: durch das kollektive Vergessen all dessen, was die Monarchie, so die Formulierung, „unterbrochen“ habe.

Ein Grund für das Scheitern dieser Politik des Vergessens liegt in der körperlichen Präsenz der Vergangenheit, die im Paris und in der französischen Provinz der Restaurationsjahre für alle Augen sichtbar ist: Tausende ehemalige napoleonische Soldaten und Offiziere kehren in das Frankreich der Restauration zurück und strafen den Oubli durch ihre bloße Anwesenheit Lügen. Im Umgang mit den napoleonischen Kriegsheimkehrern, einem hochbrisanten Thema restaurativer Innenpolitik, zeigt sich der Oubli von seiner härtesten Seite. Die königliche Regierung verweigert den ehemaligen Soldaten Napoleons bewusst die Integration. Die Soldaten, die für Frankreich ihr Leben riskiert haben, kehren folglich in eine politische Ordnung zurück, für die sie nicht gekämpft haben, die weder ihre Leistungen anerkennt, noch sie willkommen heißt. Vielmehr werden sie als potentielle Bedrohung der wiederhergestellten Monarchie einer strengen Überwachung durch lokale Autoritäten unterstellt.

Über das Projekt

Vor diesem Hintergrund fragt das Projekt nach dem Umgang der Literatur mit jener desintegrierten Bevölkerungsgruppe, die für den Oubli die größte Herausforderung darstellt. Balzacs Romane und Erzählungen bewahren die „Trümmer“ des Empire vor dem Vergessen: In Figuren wie dem fälschlicherweise für tot erklärten Invaliden (Le Colonel Chabert), dem zur Inaktivität verdammten ehemaligen napoleonischen Soldaten (La Duchesse de Langeais), der vom Krieg unheilbar traumatisierten Frau (Adieu) oder dem Soldaten, der sich im Frieden in die Provinz zurückzieht und landwirtschaftlich tätig wird (Le Médicin de campagne) verschreiben sich seine Erzählungen dem Nachleben Napoleons. Sie verhandeln die hochaktuelle Frage nach den Integrationsmöglichkeiten traumatisierter Kriegsheimkehrer.

Die Kritik an der Restauration, die Balzac formuliert und ästhetisch produktiv macht, gibt sich als Kritik am Umgang der restaurierten Monarchie mit den menschlichen Ruinen der napoleonischen Epoche zu lesen. Das Projekt möchte zeigen, dass sich Balzacs Poetik der Restauration von der scheiternden Integration der Veteranen und Kriegsversehrten in die post-napoleonische Gesellschaft herschreibt. Die Literatur, so eine der Thesen, ringt dem Raum der Widersprüche, in dem das Regime der Restauration operiert, ein Erzählen ab, das der französischen Prosa den Weg in die Moderne ebnet.