Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Abstract

Die Realität ,lieben‘? Welcher Ekel für die Liebenden! rief Roland Barthes einst in seinen Fragmente(n) einer Sprache der Liebe aus. Und doch geht es nicht anders. Denn der Tod geht unter die Haut, die ich küsse. Das ist der Ausgangspunkt meines Nachdenkens über Realismus, das ich in diesem Sommersemester in Konstanz gern zur abschließenden Konzeption eines Essaybandes treiben möchte, der auf ein Konvolut schon erschienener Texte zurückgreifen wird, aus dem heraus ich in diesen drei Monaten, weiterschreibend, vertiefend, anordnend, eine zwingende Form entwickeln möchte.

Dazu gehörte als Referenz zwingend Wilhelm Raabe, aber auch ein Nachdenken über Texte etwa von Quentin Meillassoux, und ein weiterer Referenztext wäre etwa auch Michel Houellebecqs letzter Roman. Es geht mir um Fragen nach dem Erkenntnisanspruch von Literatur jenseits der poststrukturalistischen Textheorien, aber auch nach einer Ethik des literarischen Sprechens in einer Zeit nicht nur der medialen, sondern auch der politischen Katastrophe. Erscheint das Reale uns tatsächlich noch immer im Sinne Lacans als Moment der Überwältigung in unserem innersten Außen oder haben die Dinge nicht längst eine ganz andere, neue Dignität?

Rilke fragte in seiner 9. Duineser Elegie vor fast einhundert Jahren:

Sind wir vielleicht hier, um zu sagen: Haus,
Brücke, Brunnen, Tor, Krug, Obstbaum, Fenster, –
höchstens: Säule, Turm … aber zu sagen, verstehs,
oh zu sagen so, wie selber die Dinge niemals
innig meinten zu sein.

Gewiss: Seine Feier des Seins scheint zunächst wenig mit Raabes skrupulösen Romangeflechten zu tun haben, doch hat man einmal den Ton von Altershausen im Ohr, klingt da sehr wohl etwas an. Und zwar auf eine verblüffend aktuelle Weise. Wie seltsam, dass Schriftsteller durch alle Zeiten an dem Glauben festhalten, gerade das, was von der Natur uns trennt, die Sprache, könnte auch das sein, was uns mit ihr versöhnt.

Der Band, der mir vorschwebt, sollte genau darüber nachdenken, und noch sehr viel mehr Perspektiven auf das in Anschlag bringt, was heute Realismus in der Literatur heißen könnte. Ich stelle es mir ungemein anregend vor, bei meiner Arbeit daran in in diesem Sommersemester in die Diskussionen des Kulturwissenschaftliches Kolleg Konstanz eingebunden zu sein.