WaNyamwezi. Biografie eines Gesangs
Eine synchrone Perspektive auf die Entstehung der Vergleichenden Musikwissenschaft
Abstract
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts lässt sich ein reges wissenschaftliches Interesse an der Erforschung sogenannter Naturvölker mithilfe des Phonographen beobachten. Dabei ist die Vorstellung eines objektiven Mediums handlungsleitend, das die Kulturen interventionslos in ihrer Mündlichkeit aufzuzeichnen erlaubt. Der Bestand des Berliner Phonogramm-Archivs, der zu Beginn der 1930er Jahre circa 15.000 Wachswalzen umfasst, legt hiervon beredtes Zeugnis ab. Die Wachswalzen wurden inventarisiert und in der Regel galvanisiert, die Gesänge in europäische Notenschrift transkribiert und zuweilen mit hermeneutischem Eifer übersetzt.
Vor diesem Hintergrund zeichnet das Projekt den Weg der Gesänge vom Feld ins Archiv nach. Anhand dreier Fallbeispiele schreibt es die „Biographie“ solcher Gesänge, die zwischen den Wissenschaften – Musikologie, Ethnologie und Experimentalpsychologie – zirkulieren und in diesen Grenzbereichen eine besondere Produktivität entfalten. Jenseits der üblichen institutionen- oder ideenhistorischen Entstehungsgeschichten kann die Arbeit damit eine Geschichte der Vergleichenden Musikwissenschaft präsentieren, die deren Ursprünge anhand der grundlegenden epistemischen Kategorien erklärt, die sich in der konkreten wissenschaftlichen Praxis der Akteure entwickelten.