Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Soziale Marktwirtschaft – Wirtschaftswunder

Die Gründungsmythen der Bonner Republik in rechtshistorischer Analyse

Dr. Cordula Scholz-Löhnig

Abstract

Soziale Marktwirtschaft und Wirtschaftswunder nach der „Stunde null“ sind die Gründungsmythen der Bonner Republik. Die „sichere Rente“, Vollbeschäftigung, die stabile Mark, der VW-Käfer, Reisen, Ehefrauen, die nicht mehr arbeiten müssen, sind die Wohlstandsvorstellungen, die wir mit der Sozialen Marktwirtschaft und dem Wirtschaftswunder verbinden. Die Erfolgsgeschichte der deutschen Wirtschaft in den fünfziger Jahren trug zur Mythisierung der Sozialen Marktwirtschaft bei und schuf den Mythos des Wirtschaftswunders mit der Ikone Ludwig Erhard.

Durch den wirtschaftlichen Erfolg wurde die Soziale Marktwirtschaft damit zum entscheidenden Integrationsfaktor für die neugegründete Bundesrepublik Deutschland. Der Sozialen Marktwirtschaft gelang die Integration Millionen Vertriebener und Millionen ehemaliger Anhänger Hitlers. Weite Kreise der Bevölkerung konnte man für die Soziale Marktwirtschaft begeistern. Die Mobilisierung sozialer Energien wurde dadurch erleichtert. Gleichzeitig ließ die Soziale Marktwirtschaft eine deutliche Abgrenzung zum Kommunismus und seiner Wirtschaftsordnung zu. Mit jeder Mythisierung geht gleichzeitig eine Verschleierung, Verdunkelung, Verklärung einher, die zu den wesentlichen Funktionen eines Mythos gehören. Im Falle des Mythos Soziale Marktwirtschaft und Wirtschaftswunder traten die mit dieser Zeit verbundenen Probleme in den Schatten: Restauration, Prüderie, verachtete Minderheiten oder die gewollte Nachlässigkeit bei der Verfolgung von NS-Straftaten. Trotzdem ist die Soziale Marktwirtschaft und das Wirtschaftswunder der „Langen Fünfziger Jahre“ noch heute Beurteilungsmaßstab für die Qualität der deutschen Wirtschaftspolitik. Helmut Kohls Versprechen der „blühenden Landschaften“ nach der Wiedervereinigung brachte ihm einen Wahlsieg und die Zustimmung zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Aber auch im Wahlkampf 2005 beschwor Angela Merkel den Geist der fünfziger Jahre und verwies auf die Gründerjahre der bundesdeutschen Republik.

Ziel des vorliegenden Forschungsvorhabens ist es, den Mythos mit einem rechtshistorischen Ansatz zu hinterfragen. Kontinuitäten in personeller Hinsicht bestanden bei den politischen, wirtschaftlichen und juristischen Eliten. Wirtschaftspolitische Kontinuitäten sind durch die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig soll jedoch nicht nur die weitere Entmythisierung der Gründungsmythen der Bonner Republik betrieben werden, sondern die geplante Untersuchung dient zugleich der Beantwortung der Frage, welchen spezifischen Beitrag Recht, Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung bei der Entstehung der Gründungsmythen geleistet haben. Anknüpfungspunkt für den rechtshistorischen Untersuchungsansatz ist die schlichte Beobachtung von Kontinuität. Dieser Befund der Fortgeltung von Normen allein erlaubt freilich noch keine Aussage. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche Bedeutung und Konsequenzen die Fortgeltung dieser Gesetze für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik hatte.