Der Körper des Königs hat überlebt
Von Philip Manow
Hat er sich oder hat er sich nicht entsprechend geäußert, der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner, als er 1973 auf seiner Moskaureise die Politik Willy Brandts aus der Ferne abkanzelte: „In Bonn wird nicht regiert, sondern erigiert“?
Kolportiert wurden vornehmlich andere Äußerungen („der Herr badet gerne lau“), die weniger offensichtlich den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllten und bei denen zudem nicht zu befürchten stand, dass sie gegen die Prüderie der Zeit verstießen. Ist die Äußerung Wehners vielleicht auch nicht authentisch, so wäre sie doch zu gut erfunden, um nicht in unseren politischen Zitatenschatz aufgenommen zu werden.
Seit Dezember des vergangenen Jahres konnte auch ein Großteil der französischen Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen, im Èlysée sei zuletzt eher wenig regiert worden. Doch der französische Wähler fand offensichtlich bislang wenig Gefallen an der medialen Inszenierung des privaten Glücks des Präsidenten: wechselseitige Luxus-Verlobungsgeschenke, für Nicolas eine Uhr von Patek Philippe, etwa 45.000 Euro, und für Carla zwei Verlobungsringe von Dior, jeweils um die 19.000 Euro - sollte das gemeint gewesen sein, als Sarkozy während des Präsidentenwahlkampfs für sich als Präsident der Kaufkraft geworben hatte?
Der virile Herrscher
Der Staatsbesuch in England sollte nun als Rückkehr zur politischen Ernsthaftigkeit inszeniert werden, eine Absicht, die durch die Ankündigung der Versteigerung eines Nacktfotos von Carla Bruni durch das Auktionshaus Christie's gründlich zunichte gemacht worden ist. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der Besuch des Präsidenten zum „Besuch der nackten Dame“ (taz).
Doch warum soll uns alles das überhaupt kümmern? Die Arbeitsteilung scheint eigentlich klar geregelt: die Sache Nicolas & Carla fällt in die exklusive Zuständigkeit der Klatschspalten, der Lesezirkel-Zeitschriften. Sie taugt offenbar nicht zum Gegenstand ernsthafter Reflexion.
Der Verdacht besteht jedoch, dass die allergische Reaktion vieler auf Themen dieser Art auch mit der Ahnung zu tun haben könnte, dass bei näherer Beschäftigung eine ganze Reihe von liebevoll gepflegten Selbstmissverständnissen herausgefordert werden, mit denen wir unsere westliche Demokratie betrachten.
Zu ihnen gehört: sie sei weitgehend bilderlos, nach-metaphysisch und entpersonalisiert, und in ihr habe der politische Körper keinen Platz mehr. Die Schärfe, mit der wir zu unserer eigenen Beruhigung zwischen vormodernen, undemokratischen, körperlich-konkreten und modernen, demokratischen, entkörperlicht-abstrakten Repräsentationsformen trennen, könnte sich bei näherer Betrachtung als beunruhigend unscharf erweisen.
Schaut man genauer auf die alltägliche Inszenierung demokratischer Herrschaft, besteht die Gefahr, dass man in den Praktiken der Demokratie mehr Spuren vormoderner Körperrepräsentation findet, als einem lieb ist.
Dabei ist es nicht die neue Liebe des Präsidenten als solche, die in der Öffentlichkeit schlecht ankommt, und es ist auch kein moralisches Missfallen, das sich in fallenden Popularitätswerten ausdrückt. Denn wir sind gegenüber unseren Herrschern immer zugleich toleranter als auch intoleranter. Ihre Ausnahmeposition zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ihnen sowohl mehr als auch weniger als uns erlaubt ist.
Von Kennedy über Brandt bis Clinton oder Mitterrand - eine erhöhte sexuelle Konsumption geht hin, weil sie die charismatische Ausstrahlung des Herrscherkörpers belegt, als Beweis der Auserwähltheit gedeutet werden kann, die im demokratischen Ritual der Wahl sowieso nur noch nachträglich bestätigt wird. Das durften die Republikaner und ihr Sonderermittler Starr selbst in den in diesen heiklen Fragen wenig toleranten USA lernen.
Durchaus anders liegt die Sache hingegen bei der Inszenierung des verliebten Sarko im Disneyland oder auf Ägyptenreise, bei den letzten (und allen weiteren, noch auf uns kommenden) Nacktfotos Carla Brunis: Das Publikum ist indigniert, weil die Bilder die Umkehrung der charismatischen Kraft zu belegen scheinen.
Kippendes Charisma
Der exhibitionistische Auftritt des Paares im Tal der Könige vor den Augen der zugeladenen Weltöffentlichkeit dokumentiert zumindest nicht die kontagiöse Magie des Herrscherkörpers, denn er muss doch wohl als Ausdruck ihrer, nicht seiner charismatischen Kraft gedeutet werden. Die Bilder transportieren den politisch äußerst gefährlichen Verdacht, dass Frankreich von einem Präsidenten regiert wird, der von seinen Hormonen regiert wird.
Es geht daher bei Nicolas & Carla gerade nicht um die „Erotik der Macht“ (Spiegel), sondern um die Rolle des Charismas in der modernen Politik und um die Schnelligkeit, mit der das Ansehen der Außeralltäglichkeit vom Positiven ins Negative umkippt.
Insofern stehen die Nachrichten vom Nacktfoto der première dame auch in einer Beziehung zu jener Randnotiz vom rüpelhaften Auftreten des Präsidenten auf der Landwirtschaftsausstellung, die Ende Februar als politische Randnotiz in der Presse (zusammen mit dem bei solchen Nachrichten mittlerweile unumgänglichen Videostream) erschien.
Das Video zeigt Sarkozy, wie er grüßend, händeschüttelnd und schulterklopfend jenes politische Ritual des „Bades in der Menge“ vollzieht, das wir als Überlebsel der Behauptung von der wundertätigen Kraft der königlichen Berührung in unsere Demokratie mitgenommen haben. Als ein älterer Herr sich der angebotenen Präsidentenhand beharrlich verweigert („Oh nein, mich nicht anfassen“, „Du beschmutzt mich“), zeigt Sarkozys harsche Reaktion („Dann hau doch ab, du Depp“), dass er blitzschnell die tiefere symbolische Bedeutung der Situation erkannt hat.
Es zeigt sich hier der Doppelsinn des Tabubegriffs, denn unberührbar sind sowohl das Schmutzigste wie das Heiligste. Die mittelalterliche Praxis des königlichen Handauflegens hatte sich selbst aus einer Praxis entwickelt, die die charismatische Kraft des Herrschers mit der inszenierten Tabuverletzung, der Berührung der unreinen Skrofeln, demonstrieren wollte. Keine Reaktion könnte drastischer den Verlust des Charismas belegen, als wenn die Berührung mit der Präsidentenhand selbst als unrein empfunden wird.
Privates Waterloo
Daher bleibt das Private politisch auch in unseren vorgeblich aufgeklärten Zeiten, in denen wirtschaftliche Wechsellagen und das wechselnde Liebesglück des Herrschers nicht mehr so umstandslos kurzgeschlossen werden wie etwa noch am Vorabend der französischen Revolution, als Missernten mit der Impotenz Louis XVI. in fragloser Verbindung zu stehen schienen.
Wie zwangsläufig in dem politischen Diskurs das Abtasten des „privaten“ Herrscherkörpers in Hinblick auf seine mögliche allgemeine Bedeutsamkeit ist, hätte man bereits beim Kampf um Chiracs Nachfolge lernen können. Außenminister, später Premierminister, Dominique de Villepin, sonst sehr auf seine Reputation als Feingeist bedacht, griff in der verbissenen Auseinandersetzung um die Präsidentschaftskandidatur für das bürgerliche Lager auch schon einmal zu gröberem Kaliber.
Sarkozys Ehefrau Cécilia war gerade erst mit dem „Kommunikationsmanager“ Richard Attias nach New York durchgebrannt, als Villepin mit gespielter Besorgnis die Frage lancierte: Wie will dieser Innenminister Frankreichs Vorstädte kontrollieren, wenn er noch nicht einmal seine eigene Frau kontrollieren kann?
Cécilia Sarkozy hatte Richard Attias bei den Vorbereitungen zum Parteitag der UMP im November 2004 kennen gelernt, den Vorbereitungen für eben jenen Kongress, auf dem sich Sarkozy zum offiziellen Kandidaten der Partei für die Präsidentschaftswahlen krönen lassen wollte. Dass die UMP-Krönungszeremonie mit voller Absicht auf den 2. Dezember 2004 gelegt worden war, exakt auf den 200. Jahrestag der Kaiserkrönung Napoleons, könnte Anlass für geistreiche Bemerkungen geben über die Koinzidenz von Sarkozys öffentlichem Triumph und seinem privaten Waterloo.
Eine solche Bemerkung würde zwar die Konvention bedienen, das Private gegen das Politische auszuspielen, doch zugleich diese Entgegensetzung gerade dementieren, zeigt sie doch: am politischen Körper gibt es nichts Privates.
Keiner weiß das besser als Nicolas Sarkozy selber. Die Leibwächter, die seine ständigen Begleiter während des Präsidentschaftswahlkampfs waren, hatten vor allem die Aufgabe, ihn so abzuschirmen, dass Fotografen keine Bilder von seinen Schuhen mit den erhöhten Absätzen machen konnten. Sie schützen nicht den leiblichen Körper Sarkozys vor physischen Übergriffen, sondern seinen politischen Körper vor der medialen Verletzung seines öffentlichen Bildes.
Die retuschierten Fotos aus Sarkozys Maine-Urlaub, bei denen der Bauchspeck des Präsidenten per Adobe Photoshop abgesaugt worden war, sind ebenfalls in frischer Erinnerung. Dies alles, genau wie die Ausgaben in Höhe von 34.445 Euro für Schminke, die Sarkozy gegenüber der zuständigen Finanzkommission als Wahlkampfausgaben gelten gemacht hat, sollte man nicht schlicht als Ausweis der Eitelkeit abtun.
Keine entkörperlichte Politik
Es sind auch keine spezifisch französischen Auswüchse des politischen Wettbewerbs oder der Medialisierung der Politik, die den hohen Grad der Personalisierung der Politik in einem präsidentiellen System belegen würden. Denn auch in Deutschland regierte vor noch nicht allzu langer Zeit ein gar nicht uneitler Kanzler, und die wegretuschierten Schwitzflecken auf den Fotos von Angela Merkels Bayreuth-Besuch sind auch nicht von grundsätzlich anderer Qualität als die wegretuschierte „Rolle des Präsidenten“. Von Berlusconis Schönheitsoperationen und Haartransplantationen braucht hier gar nicht erst die Rede zu sein.
Diese scheinbaren Randnotizen der politischen Berichterstattung, die unsere diffuse Neugierde wecken, sich aber zunächst noch zu keinem konkreten Syndrom zu formieren scheinen, zeigen doch eins: Wer heute (wie früher) zur kollektiven Wunschpersonifizierung werden oder eine solche Wunschpersonifizierung bleiben will, muss die politischen Bilder von seinem Körper kontrollieren und verhindern, dass der Eindruck der Außeralltäglichkeit, des Charismas, von Bildern unterminiert wird, die die Alltäglichkeit der politischen Person dokumentieren.
Es zeigt sich damit auch: Dass die moderne demokratische Politik „entpersonalisiert“ (Jürgen Habermas) oder „entkörperlicht“ (Claude Lefort) sei, bleibt ein frommer Wunsch einer politischen Fortschrittsteleologie.
Prof. Dr. Philip Manow, Professor für Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz, forscht im Exzellenzcluster zu „Religiöse Spaltungslinien und der Klassenkompromiss in westlichen Demokratien“.
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