Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Äthiopien

Bericht einer steinigen Forschungsreise

von Verena Krebs
Felsen
Abuna Yemata Guh. Die Kirche befindet sich im rechten Felsen auf halber Höhe in der Steilwand.

Auf der langen, holprigen Steinpiste mitten im Nirgendwo Äthiopiens sitzt ein Mann. Als wir mit Schrittgeschwindigkeit auf ihn zu rollen, steht er auf, klopft seine Hose ab und winkt. Ich schaue verwundert zu meinem Fahrer Ketema, doch dieser nickt nur, deutet auf die schmale, hochgewachsene Gestalt und erklärt: „Guide.“

Wir befinden uns im Norden des Landes in der Provinz Tigray, dem Grenzgebiet zu Eritrea. In der Morgensonne ragen Sandsteinfelsen leuchtend rot und gelb aus der Hochebene, der Sand lagert türkisblau am Fuß der Tafelberge. Dazwischen stehen riesige Akazien. Die letzten Häuser haben wir schon vor zwei Stunden hinter uns gelassen. Ein versierter Fahrer wie Ketema und ein allradgetriebenes Auto sind hier unerlässlich, denn jenseits der spektakulären Landschaft gibt es weit und breit buchstäblich nichts. Ketema spricht inzwischen lebhaft in sein Handy ‒ die Netzabdeckung ist ausgezeichnet ‒ und hält es mir gleich darauf vor die Nase. Am anderen Ende ist Nega Tadese, Assistent des Tourismusministers der Provinz und Organisator meiner Exkursion:

„Hallo Miss Verena. Der Mann an der Straße ist Ihr Führer für den Tag, sein Name ist Gebre Welday. Sehen Sie, ich hatte Ihnen doch versprochen, dass alles funktionieren wird!“

Nun öffnet der Mann von der Steinpiste meine Beifahrertür und streckt mir die Rechte entgegen: „Hallo Miss Verena, ich bin Gebre Welday, aber das wissen Sie ja bereits. Sind Sie bereit, ein paar Kirchen zu erklettern?“

Kulturimport und offene Forschungsfragen

Ich bin hier, weil ich untersuchen will, welche politischen, ökonomischen und kulturellen Kontakte zwischen dem christlichen Königreich Äthiopien und Europa im Mittelalter bestanden  und welchen Einfluss auf die äthiopische Kunst sie hatten.

Mein Promotionsprojekt bei Dorothea Weltecke soll die Thesen meiner Masterarbeit vertiefen und erweitern, dass das christliche Äthiopien ab dem frühen 14. Jahrhundert gezielt den Kontakt zum christlichen Europa suchte. In Briefen und Gesandtschaften schlugen äthiopische Herrscher militärische Allianzen gegen „die Ungläubigen“ vor und baten die europäischen Höfe gleichzeitig darum, Kunst und Künstler nach Äthiopien zu entsenden. Ob die erbetenen Künstler das ostafrikanische Hochland tatsächlich jemals erreichten, darüber schweigen die Quellen – zumindest die Schriftquellen: Zur gleichen Zeit hielten Elemente spätmittelalterlicher europäischer Kunst Einzug in die äthiopische Ikonographie. Der gewünschte Kulturimport hatte also Früchte getragen, er wurde mit lokalen Kunststilen vereint und veränderte die äthiopische Kunst zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert fundamental.

Jesus. Felsenkirche Debre Tsion. Detail der Wandbemalung
Felsenkirche Debre Tsion. Detail der Wandbemalung

Woher aber das plötzliche Verlangen äthiopischen Herrscher nach Bildwerken aus Europa? Wie ging der Import tatsächlich von statten? Und wie lief dieser Transformationsprozess tatsächlich ab? Fragen, die die Forschung bisher unbeantwortet gelassen hat.

Das Thema ist unter all den wenig bearbeiteten Feldern der Kunstgeschichte ein besonders steiniges: Bislang wurde auf diesem Gebiet kaum geforscht, selbst Grundlagen sind vielfach unbekannt. Nicht erschlossene Manuskripte und Ikonen in äthiopischen Sammlungen müssen gesichtet und dokumentiert werden; eine Fülle von Material, vornehmlich Kirchenmalereien und Ikonen, gilt es überhaupt erst noch in Kirchen und Klöstern zu finden. Kontakte zu Universitäten, Behörden und Archiven sind dünn gesät und aus der Ferne fast unmöglich zu knüpfen. Aus diesem Grund bin ich Anfang März 2011 ins Unbekannte aufgebrochen und habe in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mehrere Wochen mit Archivbesuchen und Materialsichtung verbracht – im beständigen Kampf mit dem Kulturschock, der unbekannten amharischen Sprache und der  Bürokratie des Landes.

Von Vorzimmer zu Vorzimmer

Äthiopien war niemals Kolonie. Vielleicht ist das der Grund für den Stolz der Äthiopier auf ihre lange Geschichte und ihr reiches kulturelles Erbe. Das Porträt des einst verpönten Kaisers Haile Selassie prangt heute wieder auf T-Shirts, Fahnen und Werbeplakaten in allen Winkeln Addis Abebas. Touristisch ist Äthiopien kaum erschlossen, denn innenpolitisch stabil ist das Land erst seit rund zehn Jahren. Ausländische Wissenschaftler (Wissenschaftlerinnen zumal) trifft man selten, entsprechende Infrastrukturen sind kaum etabliert. Um so größer ist das Interesse an der Forscherin und ihrem Vorhaben. Doch jede noch so kleine Anfrage wird wie automatisch nach oben delegiert ‒ es sind Hartnäckigkeit und Chuzpe gefragt, um nicht selbst als Kuriosität im Sekretariat eines Ministeriums zu enden.

„Nirgendwo Gott näher sein als hier“

Die ARD-Sendung Weltreisen begleitete die Konstanzer Historikerin Verena Krebs und ihren Assistenten Philip Mayer auf Ihrer kultur­geschichtlichen Forschungs­reise zu den berühmten Felsenkirchen im Norden Äthiopiens. 14. April 2012

Digitising and conserving Ethiopian manuscripts

Institute of Ethiopian Studies, Addis Ababa University
Projektbeschreibung der British Library

Meine Anliegen seien grundsätzlich unmöglich zu realisieren, informiert man mich im äthiopischen Nationalarchiv, in den verschiedenen Kultus- und in den Tourismusministerien. Man bedauere, dass man mir leider nicht weiterhelfen könne. Nach Vorstellen meines Anliegens aber in immer größeren Büros mit immer größeren Schreibtischen trage ich meine Angelegenheit schließlich stets dem Behördenleiter oder gar dem Minister persönlich vor – und plötzlich ist alles kein Problem mehr.

Dass es anders geht, beweisen indes die Mitarbeiter der Sammlung des Institute of Ethiopian Studies der Addis-Ababa-University: Bei einer Tasse Kaffee erzählt ein Mitarbeiter beiläufig, dass das Institut in den letzten drei Jahren sein Manuskriptarchiv mit Hilfe der British Library vollständig und professionell digitalisiert hat. Der Mitarbeiter stellt sich als Leiter dieses Digitalisierungsprojekts heraus, ein Telefonat später habe ich Zugang zu mehr als 3000 Manuskripten.

Die so gewinnbringend verkürzte Archivzeit in Addis Abeba beschließe ich anderweitig zu nutzen: Ich erkunde die äthiopischen Fels- und Höhlenkirchen in den nördlichen Provinzen Amhara und Tigray, um einen späteren, umfassenderen Forschungsaufenthalt im äthiopischen Hochland vorzubereiten. Die Busfahrt nach Mekelle, der Hauptstadt der Provinz Tigray dauert zwei volle Tage, dann aber stellt das dortige Tourismusministerium die guten Erfahrungen von Addis Abeba noch in den Schatten. Die Zuständigen unterstützen mein künftiges Vorhaben mit Kooperationszusagen, helfen mit informierten Ratschlägen weiter und organisieren binnen einer Stunde einen Wagen inklusive Fahrer sowie einen Führer für den nächsten Morgen. Ein aberwitziger Plan, der aller Improvisation zum Trotz perfekt klappen sollte.

Kirchen im Fels

Verena Krebs klettert im Fels.
Verena Krebs auf dem Weg zur Felsenkirche Abuna Yemata Guh

Geführt von Gebre Welday steigen wir am späten Vormittag jenen schmalen Weg zur der Felsnadel hinauf, in die vor rund 800 Jahren die Kirche Abuna Yemata Guh gehauen wurde. Anderthalb Stunden und viele hundert Höhenmeter später muss ich jedoch kurz vor dem Ziel kapitulieren: Mir fehlt, anders als den Einheimischen, das Gottvertrauen, ungesichert meterhohe Steilwände über einem fast 500 Meter abfallenden Felsen hinaufzuklettern. Ich verbuche den Fehlschlag als Informationsgewinn und setze einen Kletterkurs, entsprechendes Training und die nötige Ausrüstung auf die To-Do-Liste für meine kommende Reise.

Es ist früher Nachmittag, als wir zur nächsten Kirche aufsteigen. Hoch aufgetürmte Wolken sind im Verlauf des Tages aus Eritrea in die Hochebene vorgerückt, doch die Sonne brennt noch immer auf uns herab. Ich stehe auf einem Felsvorsprung, die Ebene liegt ein Dutzend Meter steil abschüssig zu meiner Linken, der Untergrund ist mit kleinen Kieseln übersäht. Dennoch halte ich inne und betrachte verwundert meine Arme: die Haut flirrt grün. Einige Meter über mir bemerkt Gebre die Ablenkung, lacht laut auf und deutet gen Himmel: „Das ist die Sonne! Es ist das Licht! Mit den Wolken! Schau!“ Dann verschwindet er mit einem Sprung aus meinem Sichtfeld und ich setze ihm nach. Nach 550 Höhenmeter schweren Aufstiegs erreichen wir die Felsenkirche Debre Tsion, die ebenfalls direkt in die Stirnseite eines Tafelberges gehauen ist.

bemalte Wände in der Felsenkirche Debre Tsion
Innenraum der Felsenkirche Debre Tsion

Oben, 20 Meter in die Steilwand eingerückt, befindet sich der Eingang zu Debre Tsion. Einige Kinder sind uns aus dem Dorf gefolgt und lärmen nun den Priester herbei. Er ist in Weiß gehüllt, trägt pinke Plastiksandalen und ein schweres Schlüsselbund. Nach Entrichten eines geringen Betrages schließt der Priester die niedrige Holztür des Kirchenportals auf und geht voran.

Die Kirche, schwach erleuchtet, ist vollständig in den Stein gehauen. Sie besteht aus mehreren Ebenen und Schiffen, die durch Fenster und Türen miteinander verbunden sind. Jede Wandfläche, jeder Pilaster, jede Säule ist bemalt oder mit Reliefs versehen. Ein tief in den Stein gegrabener Rundgang bringt uns weiter, vorbei an eingelassenen Gräbern zu einer fensterlosen, reich verzierten Kapelle. Ich bleibe beeindruckt stehen. Der Priester hat meine Lampe in Beschlag genommen und beginnt, interessiert die Wände seiner eigenen Kirche abzuleuchten. Gebre fasst mich am Arm, ein breites Lächeln hat sich auf sein Gesicht geschlichen: „Das ist gut, oder?“ Ich nicke.

Seither sind fünf Monate vergangen, und ich stehe kurz vor meinem zweiten, fast sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in Äthiopien. Mit meiner Dissertation will ich dazu beitragen, die mittelalterliche Kunst und Kultur dieses Landes weiter zu erschließen. Nach zwei Monaten als Gastwissenschaftlerin an der Mekelle University werde ich im Januar 2012 eine 100-tägige Feldforschungsreise antreten, die von Addis Abeba über die Klosterinseln des Tanasees, die Felsenkirchen des nördlichen Hochlands im Tigray bis hin zu den berühmten Felsenkirchen von Lalibela führen wird.

Den ganzen Sommer lang bin ich deshalb neben meinen Recherchearbeiten gejoggt, in den Schweizer Alpen gewandert und habe an der Kletterwand meine Höhenangst bekämpft. Die Kirche Abuna Yemata Guh wartet.

Verena Krebs promoviert seit Oktober 2010 binational (Cotutelle) an der Universität Konstanz bei Prof. Dr. Dorothea Weltecke und der Addis Ababa University bei Prof. Richard Pankhurst über „Bilder als Fenster zur Welt: Kontakte des Königreichs Äthiopien zur europäischen Christenheit vom 14.-16. Jahrhundert und deren Einfluss auf die äthiopische Kunst“.
Zuvor hat sie Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft (Universität Konstanz, B.A. 2007) und Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter und Kunstgeschichte (University of York, UK; Universität Konstanz, M.A. 2010) studiert.

jkr