Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Diversität als Normalität begreifen

Foto des gedruckten Artikels

Dr. Özkan Ezli ist Kurator der Ausstellung „Das neue Deutschland“ am Deutschen Hygiene-Museum. Er forscht am Exzellenzcluster über deutsch-türkischen Film als Teil der Kulturgeschichte.

Von Helena Dietz

Auf die Frage, welches sein Lieblingsexponat bei der Ausstellung „Das neue Deutschland“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden sei, zögert Dr. Özkan Ezli, Literaturwissenschaftler am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz. Er ist Mitkurator der Ausstellung und Herausgeber der begleitenden Publikation „Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt“ – einem vielschichtigen „Lesebuch“ zu Migration und Vielfalt. In ihm wird das Thema Integration mit Beiträgen aus Wissenschaft, Kunst und Politik aus den verschiedensten Perspektiven der Gesellschaft beleuchtet.

Deutschland als Einwanderungsgesellschaft

Schließlich erzählt Ezli von einem Exponat, in dem ein Künstler anhand eines Fadenlaufs auf einem Holzbrett die verschiedenen Stationen von Asylanträgen nachvollzogen hat.

„Von den unzähligen Fäden, die zu Beginn der Antragstellung auf dem Tableau los laufen, bleibt nur ein Bruchteil übrig. Es fasziniert mich, wie gut es dem Künstler gelungen ist, dieses Thema zu visualisieren und die Auseinandersetzungen, den Weg und den Kampf eines Antragstellers greifbar zu machen“, erklärt Ezli.

Die Ausstellung, die einen Rundgang durch unterschiedliche Stationen von Migration in Deutschland anbietet, stellt ein Deutschland in den Mittelpunkt, das sich zu einer Einwanderungsgesellschaft entwickelt hat und von Migration und ethnischer Vielfalt geprägt ist. Dabei legten die Entwickler der Ausstellung großen Wert darauf, dem sehr herausfordernden und gesellschaftspolitisch aufgeladenen Thema einen Zugang zu bieten, der weder zu trocken, noch zu plakativ ist:

„Uns ging es darum, das Thema zu entdramatisieren und für die Öffentlichkeit so neu zu justieren, dass Migration und ihre Folgen als eine gesamtgesellschaftliche Frage begriffen werden“, so Özkan Ezli.

Während Fragen zur Integration vor allem in oft hitzigen politischen Debatten diskutiert würden, sei das Anliegen der Ausstellung, Gelassenheit, auch Sinnlichkeit und Komik in die Diskussion miteinzubringen.

Deutsch-türkischer Film als Teil der Kulturgeschichte

Özkan Ezli wurde von der Ausstellungsleitung als Experte für das Kuratorium und die Herausgeberschaft des Buches nach Dresden eingeladen. Seit einigen Jahren forscht er am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“, der seit 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert wird. In seinem Habilitationsprojekt „Narrative der Integration in der deutsch-türkischen Literatur und im deutsch-türkischen Film: Eine andere deutsche Literatur- und Kulturgeschichte“ setzt er sich mit der Entwicklung von Integration seit den 1960er Jahren bis heute auseinander. Dabei stellt er die untersuchten Erzählungen immer in den direkten Zusammenhang mit der gesamtgesellschaftlichen Dynamik und den aktuellen Integrationsdebatten.

Den Zeitraum seit den 1960er Jahren, in denen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland kamen, hat Özkan Ezli in vier Phasen eingeteilt, die er mit Leitsätzen betitelt, welche Ausdruck der jeweils aktuellen Narrative und Diskussionen sind. Filme, Literatur und auch gesamtgesellschaft liche Phänomene der Migration und Integration summiert der Konstanzer Wissenschaftler unter diesen Überschriften. In den 1960er und 1970er Jahren steht „Wir wollten alle Amerikaner werden“ für die Zeit der Gastarbeiter und ihre Motive, die mit dem Bedürfnis nach einem besseren Leben nach Deutschland kamen.

Plakat zum Film "Almanya"

„Wie lebt es sich als Türke in Deutschland?“ ist die Überschrift für die Zeit der 1980er Jahre, in denen die Familien der Gastarbeiter nachgezogen kamen und mit dem Einzug der Familien in die deutsche Gesellschaft eine Debatte um die Ausländerpolitik aufkam. In den 1990ern konstatiert Ezli eine starke gesellschaftliche Veränderung hin zu einer körperlichen Expressivität, in der sich auch die Erzählweisen verändern und Randbereiche ausgeleuchtet werden. Das Narrativ des körperlichen Konflikts fasst er unter dem Titel „Wie lebt es sich in Deiner Haut?“ zusammen. Die Zeit ab 2003 thematisiert demnach verstärkt soziale Bindungen und Identitätspolitik, so dass Familiengeschichten und Familienkonstellationen ins Zentrum der Erzählungen rücken. Mit der Frage „Was lebst Du?“ betitelt Ezli diese letzte und aktuelle Phase seiner „anderen“ Literatur- und Kulturgeschichte.

Die Geschichte der Integration sieht der Literaturwissenschaftler dabei auch als eine Geschichte des Prozesses, in dem Deutschland sich in sich selbst integriert habe, wie er es ausdrückt. Mit der Zu- und Aufnahme gesellschaftlicher Vielfalt und Differenz habe eine Erweiterung nationaler Selbstbeschreibungen stattgefunden, so dass den Deutschen eine Identifikation mit ihrem Land heute leichter falle.

„Eine stabile Einwanderungsgesellschaft erkennt ihre Heterogenität und schafft dafür eine gesetzliche Infrastruktur – und entsprechende historische, politische und ästhetische Erzählungen“, betont Özkan Ezli. „Denn um die Vielfalt und Komplexität von Integration beschreiben zu können, brauchen wir Erzählungen.“

Helena Dietz ist Mitarbeiterin der Pressestelle der Universität Konstanz. Der vorliegende Beitrag ist zuerst in uni’kon 54/2014 erschienen.

Weitere Informationen

Plakat zur Ausstellung

Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt
Sonderausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden
8. März–12. Oktober 2014
Pressemitteilung

Publikation

Zur Ausstellung ist ein Lesebuch zu den Wörtern der Migration erschienen:
Özkan Ezli, Gisela Staupe (Hg.): Das neue Deutschland. Von Migration und Vielfalt. Mit einem Fotoessay der Agentur Ostkreuz. Konstanz: Konstanz University Press 2014.