Illegale Migranten oder Arbeitssklaven?
Schmuggel und Menschenhandel in Südafrika
Von Anna Hüncke
Auf Südafrikas belebtester Straße herrscht reger Verkehr. Wer auf der N1 nach Norden unterwegs ist und Musina, die nördlichste Stadt des Landes, verlässt, wird bald gewarnt: Schilder künden von Crime Hot Spots und der Cross Border Control, denn die Grenze zu Simbabwe ist nah. Kurze Zeit später stehen LKWs in einer langen Reihe dicht gedrängt auf der linken Spur. An Straßenblockaden winken Polizisten eifrig Fahrzeuge heraus, die in der Gegenrichtung unterwegs sind: Sie interessieren sich nicht nur für die hoffnungslos überladenen Lastwagen, ihre Aufmerksamkeit gilt auch den blinden Passagieren, die sie in LKWs und Kleintransportern vermuten.
Auf der N1 transportieren Schmuggel- und Menschenhandelssyndikate ihre „Fracht“ grenzüberschreitend, dessen sind sich südafrikanische Medien und Vertreter humanitärer Organisationen sicher. Schmuggler und Menschenhändler wählten den offiziellen Grenzübergang oder den Weg mitten durch den Fluss Limpopo über die grüne Grenze.
Die Polizei ist für das Thema Menschenhandel sensibilisiert, seit NGOs und internationale Organisationen dazu zahlreiche Kampagnen und Weiterbildungskurse gestartet haben.
Während meiner Feldforschung 2012/2013 war ich in der Region um den offiziellen Grenzübergang Beitbridge und der etwa zwölf Kilometer entfernten Grenzstadt Musina unterwegs, um mehr über die staatlichen Maßnahmen gegen Menschenhandel und den Umgang mit irregulärer Migration herauszufinden. Dabei tauschte ich mich mit humanitären Organisationen und Migranten aus – und ich hielt Kontakt zur Grenzpolizei, zur lokalen Polizei in Musina sowie zur Einheit für organisierte Kriminalität der Provinz Limpopo.
Ein Fall von Menschenhandel
Bei einem Besuch dieser Polizeieinheit sprach mich ein Beamter an: „Du beschäftigst dich doch mit Menschenhandel. Ich hab da einen Fall, der dich bestimmt interessiert.“ Er erzählte, er habe nach längeren Ermittlungen zusammen mit seinem Team und Beamten der Ausländerbehörde endlich einen Coup gelandet: Sie hätten einen Menschenhändlerring ausfindig gemacht. Empört berichtete er: „Die Kriminellen wollten die Männer versklaven und Geld von ihren Familien erpressen!“ Eingepfercht in einem LKW, so der Polizist, waren fünfzehn Äthiopier über den mehr als 4000 Kilometer langen Landweg nach Südafrika verschleppt worden. Nachdem sie die Schmuggler- und Menschenhändlerroute über den Grenzfluss Limpopo zu Fuß hinter sich gebracht hatten, habe man sie über Tage in verschiedenen Häusern in Musina eingesperrt. Als die Polizei Wind von der Sache bekam, erstürmte sie die Häuser und nahm die Menschenhändler fest, die alle bis auf einen Südafrikaner selbst Äthiopier waren.
„Die Männer sind auf falsche Versprechungen hereingefallen. Man hat ihnen erzählt, sie könnten in Johannesburg ohne Probleme eine Arbeitserlaubnis bekommen und dann Geld nach Hause zu ihren Familien schicken. Wenn sie gewusst hätten, was ihnen bevorsteht, hätten sie sich nie darauf eingelassen“, erklärte der Polizist.
Und er fügte hinzu: „Wenn das Amt für Asylsuchende erst an der Grenze ist, wird es nicht mehr zu solchen Fällen kommen. Dann muss sich niemand mehr auf skrupellose Kriminelle einlassen, sondern kann sich direkt an die Beamten wenden.“ Ist der Umzug des Asylbewerberzentrums an die Grenze also ein humanitärer Akt? Oder sollen Migranten einfach nur besser kontrolliert und sogenannte Illegale erst gar nicht ins Land gelassen werden?
Oder doch illegale Migration?
Ein Vertreter der lokalen Polizeibehörde in Musina, den ich später dazu befragte, betrachtete den Fall der fünfzehn Äthiopier nicht als Menschenhandel, sondern als Schmuggel von Migranten: „Menschenhändler? Nein, das ist ein Schmugglerring, den wir da aufgedeckt haben. Die Polizei hat da Mitglieder einer Schmugglerbande gefasst, die jetzt in unserer Polizeiwache auf ihren Prozess warten.“ Die Befragung der befreiten Äthiopier habe nämlich Folgendes ergeben: Die Männer hätten ganz bewusst die Hilfe der Schmuggler in Anspruch genommen, um illegal nach Südafrika einreisen zu können. Allerdings hatten die Schmuggler sie dann so lange festhalten wollen, bis ihre südafrikanischen Verwandten ein Lösegeld für sie bezahlten. Von dem war vorher aber angeblich nie die Rede gewesen.
Auf meine Frage, was nun mit den Männern geschehe, erwiderte der Polizist: „Die haben wir in Gewahrsam genommen, damit sie nicht in die Hände von Hintermännern geraten. Außerdem muss die Ausländerbehörde noch überprüfen, wer von ihnen abgeschoben werden muss. Die sind ja illegal hier.“
Erst im Juni 2013 hat Südafrika ein Gesetz zu Menschenhandel eingeführt, so dass diese Ereignisse von 2012 noch nicht darunter fielen. Die Konsequenzen für Betroffene hingegen bleiben trotz Gesetz gleich. Egal, ob die Behörden Migranten als Opfer von Menschenhandel oder als Illegale behandeln: Ihnen droht die Abschiebung. Denn als illegal Eingereiste gelten sie als Kriminelle und werden umgehend ausgewiesen. Als Opfer von Menschenhandel steht ihnen zwar vorübergehend humanitäre Hilfe zu, aber sie müssen gegen ihre Peiniger als Zeugen aussagen – und werden anschließend abgeschoben. Menschen werden damit als Kriminalitätsopfer unter Umständen stärker schikaniert und dem Wohlwollen von Behörden ausgesetzt denn als sogenannte Illegale.
Die Zukunftsaussichten von Migranten in Südafrika haben sich durch die Einführung des Gesetzes gegen Menschenhandel nicht verbessert.
Die Ethnologin Anna Hüncke ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ethnologie und Kulturanthropologie der Universität Konstanz. Im Rahmen ihrer Dissertation erforscht sie Migration und Konzepte zu Grenze und Menschenhandel in Südafrika.
Über die Reihe
Dieser Beitrag ist der zweite in einer dreiteiligen Sommerserie von Forschungsreportagen aus Afrika.
In ihnen schildern Tim Bunke, Anna Hüncke und Sarah Fuchs Erfahrungen aus ihren Feldforschungen zum Menschenhandel in Afrika.
Im ersten Beitrag schildert Tim Bunke in einer Audio-Slideshow seine Eindrücke vom Alltag an der Grenze zwischen Sambia und Tansania.
Im dritten und letzten Beitrag begleitet Sarah Fuchs bettelnde Koranschüler im Senegal und besucht einen hoch respektierten Menschenhändler.
Alle drei promovieren bei Prof. Dr. Thomas G. Kirsch an der Universität Konstanz.