Liberias schwieriger Wiederaufbau und die Vereinten Nationen
von Till Blume, Sebastian Döring und Johannes Hainzinger
„Scratchcard, Scratchcard!“ Bei der Ankunft am Roberts International Airport werden einem sofort Telefonkarten angeboten. Es ist drückend feucht und es stehen schwer bewaffnete und leicht gelangweilte UN-Blauhelmsoldaten herum. Die Fahrt vom Flughafen nach Monrovia im altersschwachen Nissan führt über eine mehr oder minder intakte Asphaltpiste, die immer wieder plötzlich und unangekündigt von abenteuerlichen Baustellen oder tiefen Schlaglöchern unterbrochen wird. Sofort brennt einem die rauchige Luft in den Augen, während man, vorbei an kleinen Dörfern, durch den grünen, wild wuchernden Busch über rote Erde rauscht. Die drückende Schwüle wird von zahlreichen Feuern, in denen Müll verbrannt wird, verstärkt.
Monrovia, einzige Hauptstadt ohne Strom
Frank, der Fahrer, rast im halsbrecherischen Tempo über die Buckelpiste. Anhalten würde er angesichts von Wegelagerern nur ungern. Man atmet auf, als UN-Kontrollposten nach etwa vierzig Minuten Fahrt die Außenbezirke von Monrovia ankündigen. Diese Stadt genießt den zweifelhaften Ruhm, die einzige Hauptstadt der Welt ohne zentrale Elektrizitätsversorgung zu sein. Das bedeutet, dass der Strom bei denen, die es sich leisten können, komplett aus kleinen Dieselgeneratoren stammt, die nur einige Stunden am Tag betrieben werden. In der Nacht ist die Stadt fast vollkommen dunkel, was sie nicht sicherer macht.
Je weiter man in die Stadt hinein fährt, umso dichter wird der Verkehr. Mehr und mehr Menschen laufen an den Straßen entlang. Frank umfährt hupend Schlaglöcher und im Staub spielende Kinder. Am Straßenrand immer wieder Gruppen von jungen Männern ‒ ihnen fehlen Arme oder Beine. Frank weist auf verschiedene, teils zerstörte Gebäude am Straßenrand: ein ehemaliges Hotel, eine Radiostation. Bei einem weiß getünchten Haus fährt er besonders langsam; es ist das Anwesen von Charles Taylor, dem ehemaligen Rebellenchef und Präsidenten, der seit 2006 in Den Haag für seine Gräueltaten vor Gericht steht. Seine Anhänger gibt es nach wie vor.
Lichtblick nach 14 Jahren Bürgerkrieg
Der mit brutalsten Mitteln geführte vierzehnjährige Bürgerkrieg hat ein traumatisiertes und zerrüttetes Land hinterlassen, das sich nur schwer von den dunklen Schatten der Vergangenheit lösen kann. So gehörte das Abtrennen von Gliedmaßen, Kannibalismus und bunt gekleidet unter Drogen stehende Kindersoldaten zum Kriegsalltag. Liberia hat das Erbe eines Bürgerkrieges mit über 200 000 Toten und 1,7 Millionen Flüchtlingen (immerhin die Hälfte der Bevölkerung) zu schultern.
Ein international beachteter Lichtblick beim schwierigen Wiederaufbau des Landes ist die 2005 gewählte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf. Von der Bevölkerung liebevoll „Ma Ellen“ genannt, ist sie das erste frei gewählte weibliche Staatsoberhaupt Afrikas und hat mit Unterstützung internationaler Geber ein ambitioniertes Aufbauprogramm auf die Beine gestellt. Zwar verfügt die ehemalige Mitarbeiterin der Weltbank und der Vereinten Nationen noch über großen Rückhalt in der Bevölkerung und bei internationalen Gebern, im Parlament sowie in einigen Provinzen können ehemalige Milizenführer jedoch nach wie vor auf ihre Machtbasis zurückgreifen.
Angesichts der großen Probleme und der nur langsam sichtbaren Fortschritte gerät die Präsidentin zunehmend unter Druck. 80 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos. Es fehlt an gut ausgebildeten öffentlichen Bediensteten. Korruption ist allgegenwärtig und staatliche Strukturen außerhalb Monrovias sind weitgehend nicht existent.
Trotz UN-Friedenstruppen ‒ die Lage bleibt prekär
Als Garant für den fragilen Frieden gilt die 2003 entsandte United Nations Mission in Liberia (UNMIL), die im Zentrum der Forschungsprojekte am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft steht. Mit gegenwärtig rund 13 000 Soldaten, 1 500 Polizisten und 2 000 zivilen Aufbauhelfern ist UNMIL eine der größeren Friedensmissionen weltweit. Ihre Aufgaben reichen von öffentlicher Sicherheit hin zur Unterstützung der Regierung beim Aufbau staatlicher Strukturen, Polizei und Justiz inklusive. Der Mission steht ein jährliches Budget von zirka 700 Millionen US-Dollar zur Verfügung ‒ eine Summe, die den Staatshaushalt Liberias fast um das Fünffache übertrifft. Die Bilanz der UNMIL ist angesichts der kaum vorhandenen liberianischen Kapazitäten durchwachsen.
Weiterlesen:
Till Blume: Schwieriger Wiederaufbau, in: Entwicklung und Zusammenarbeit, 9 (2008)
Obwohl unter der Regierung von Johnson-Sirleaf viel erreicht wurde, bleibt die Lage prekär. Im letzten Jahr konnten Putschversuche zum Glück bereits im Keim erstickt werden. Angesichts der anhaltenden Probleme wird jede Unterstützung der Vereinten Nationen und ihrer Mitgliedsstaaten ‒ allen voran die USA und China ‒ über die nächsten Jahre und Jahrzehnte hinweg benötigt werden.