Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Internationale Forschung vor Ort – unersetzbar

Sophia Schemel untersucht regionale Integration am Beispiel des Mercado Común del Sur, kurz Mercosur, des gemeinsames Markt des Südens in Südamerika. Für ihre Forschung verbrachte sie drei Monate in dessen Gründungsstaaten Argentinien, Uruguay, Paraguay und Brasilien.

Sophia Schemel

Das besondere Interesse der Politikwissenschaftlerin gilt Erweiterungs- und Suspensionsprozessen:

  • Welche Faktoren führen dazu, dass ein neuer Staat in den Regionalverbund aufgenommen wird oder ein bereits bestehender Mitgliedsstaat ausgeschlossen wird?
  • Inwiefern beeinflusst Parteipolitik eine Entscheidung über Mitgliedschaft?
  • Und welche Rolle spielen Machtkalküle im Aushandlungsprozess?

 

Was war Ihre wissenschaftliche Motivation für den Forschungsaufenthalt in Südamerika?

Mir ging es darum, Interviews mit denen zu führen, die wirklich am Entscheidungsprozess über Mitgliedschaft beteiligt waren. Davon versprach ich mir Informationen, die andernfalls schwer zu bekommen sind. Wenn es um parteipolitische Motive für oder gegen eine Unterstützung der Mitgliedschaft geht, werden zwar Argumente ausgetauscht – im Parlament und auch auf regionaler Ebene. Aber natürlich wird nicht immer die wirkliche Motivation auch nach außen kommuniziert.

Der direkte Zugang zu den Leuten, die an den entscheidenden Sitzungen teilgenommen haben, ist für mein Forschungsprojekt unersetzbar: Sie können viele Zusatzinformationen liefern, etwa über weitere entscheidende Gründe, die in den Medien unerwähnt blieben. Oder welche Argumente oder wessen Druck die Beteiligten überzeugt haben, eine Position zu ändern. Dies hätte ich in Konstanz vom Schreibtisch aus nicht erfahren können und deswegen war es für mich ganz wichtig, dass der Exzellenzcluster mir diesen Auslandsaufenthalt ermöglichte.

Wer waren Ihre Gesprächspartner?

Ich habe an die 60 Interviews geführt, nicht nur mit politischen Entscheidern, sondern auch mit vielen Wissenschaftlern, die in der Region zu dem Thema arbeiten. Diese haben mir gerade anfangs den Kontext sehr gut erschlossen. Unter den Politikern habe ich mit ehemaligen Außenministern, Senatoren und Abgeordneten gesprochen, vor allem aber mit hochrangigen Beamten aus den jeweiligen Außenministerien, die für die Verhandlungen im Mercosur zuständig sind.

War es schwierig, Interviewtermine mit den Politikern zu bekommen?

Im Senado Federal do Brasil, dem brasilianischen Oberhaus
Im Senado Federal do Brasil, dem brasilianischen Oberhaus. Foto: Sophia Schemel.

Ich hatte großes Glück, dass ich durch eine Konferenz vor der Forschungsreise schon Wissenschaftler in der Region kannte, die sehr gut vernetzt waren und mir Kontakte vermittelt haben. Bei vorbereitenden Interviewanfragen war es sehr hilfreich, auf jemanden verweisen zu können. Und nach jedem Gespräch vor Ort habe ich um weitere Empfehlungen gebeten, um ein Schneeball-System aufzubauen, das dann wieder ein Türöffner war.

So große Hilfsbereitschaft hatte ich nicht erwartet: Mir wurden E-Mail-Adressen und Telefonnummern zur Verfügung gestellt. Teilweise haben Entscheider wichtige Kontakte selbst angerufen: „Ich habe hier eine Forscherin aus Deutschland sitzen, die ein spannendes Projekt hat. Gerade hab ich mit ihr schon gesprochen, könntest du sie denn nicht bitte auch empfangen? Sie ist noch eine Woche da.“ Je höherrangig der Name dessen war, der mich empfohlen hatte, umso leichter fiel mir die Kontaktaufnahme. Ich habe natürlich dennoch darauf geachtet, dass dieses Schneeball-System nicht dazu führte, dass ich nur eine Seite hörte, sondern ein ausgewogenes Meinungsbild bekam.

Inwiefern hat dieser Auslandsaufenthalt Ihr Dissertationsprojekt konkret unterstützt?

Die Interviews und die Zitate, die ich daraus gewinnen konnte, sind ein zentraler Bestandteil meiner Daten, auf denen die Dissertation basiert. Dazu kommen Zeitungsartikel, die ich systematisch sammle und auswerte, und Parlamentsdebatten in der Region sowie Sekundärliteratur.

Was ist Ihnen besonders positiv in Erinnerung geblieben?

Die Freundlichkeit, mit der ich aufgenommen wurde – sowohl von den Forschern als auch den Entscheidern – und eine große Offenheit, das Wissen mit mir zu teilen. Viele brachten mir großes Vertrauen entgegen und erlaubten mir, alles Gesagte so zu verwenden, ohne nochmals Rücksprache zu halten. Und meine Gesprächspartner haben sich wirklich viel Zeit für mich genommen: Obwohl es sehr hochrangige Personen waren, dauerten die Gespräche zwischen einer und zwei Stunden, eines sogar zweieinhalb Stunden.

Und wie haben Sie nachhaltig davon profitiert?

Die neuen Kontakte zu Forschern in der Region möchte ich auf jeden Fall aufrechterhalten. Zusätzlich zu den Informationen für das Projekt habe ich vor Ort ein viel besseres Regionen- und Länderverständnis erworben. Politische Prozesse in einem Land direkt mitzuerleben, ist einfach etwas ganz anderes, als darüber Sekundärliteratur zu lesen.

Besonders hilfreich war das im Falle Paraguays für mich, weil es zu diesem Land am wenigsten Forschung gibt. Ich fand es faszinierend zu sehen, wie das politische System in einer so jungen Demokratie funktioniert und wie viele Probleme es noch gibt. Aus europäischer Perspektive ist es oft schwer nachvollziehbar, wie viel in der Politik dort noch von einer sehr kleinen Machtelite abhängt und überhaupt wie Prozesse ablaufen. Seit ich vor Ort war, weiß ich wirklich genau, worüber ich schreibe.

Blieben noch Wünsche an Unterstützung für internationalen Austausch offen?

Da der Projektzusammenhang schon bestand, als ich angestellt wurde, waren die Gelder für diesen Auslandsaufenthalt schon eingeworben. Das ist ein Luxus, den man als Forschende, glaube ich, in wenigen Projekten hat und den ich wirklich sehr zu schätzen weiß. Dank zusätzlicher Reisemittel des Clusters konnte ich im Mai zudem in New York die weltweit wichtigste Lateinamerikakonferenz besuchen, wo ich mich mit Forschern, die ich damals in Südamerika getroffen hatte, erneut austauschen konnte. Aus meiner Sicht bietet der Exzellenzcluster einem alle Möglichkeiten, die man sich wünschen kann.

Das Interview führte Claudia Marion Voigtmann.

Sophia Schemel ist seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz. Sie forscht zusammen mit Prof. Dr. Dirk Leuffen und Kerstin Schembera im Projekt „Externe Schocks, internationale Organisationen und die Herausbildung politischer Normen: eine vergleichende Analyse regionaler Integration in der EU, dem Mercosur und der ASEAN“.