WissensArt – wie aus Forschung, Raum und künstlerischer Interpretation ein „neuer fiktiver Raum“ entsteht
Interview mit Valerie Lipscher
Was bedeutete Ihnen als Künstlerin „Öffentlichkeit“ und „Repräsentation“, bevor Sie sich im Projekt „WissensArt“ mit der wissenschaftlichen Perspektive darauf beschäftigten?
Repräsentation und Öffentlichkeit, das sind zwei sehr gängige, sehr offene Begriffe. Da scheint so vieles dazuzugehören und gerade deswegen konnte ich mir am Anfang gar nicht richtig vorstellen, mit welchen Themen sich die Wissenschaftler in diesem Bereich genau auseinandersetzen.
Welchen Zugang fanden Sie durch die Auseinandersetzung mit den Wissenschaftler/innen, die zu „Öffentlichkeit und Repräsentation“ forschen?
Die schwarz-weißen Texte der Wissenschaftler zu ihren für mich meist neuen Themen zu lesen, war natürlich schon irgendwie Neuland für mich. Aber danach die Wissenschaftler dahinter kennen zu lernen und ihre Faszination und Interessen dadurch besser zu verstehen, dies hat für mich den Farbraum definiert, und erst so habe ich meinen eigenen Zugang gefunden.
Wie gingen Sie bei der künstlerischen Umsetzung vor?
Ausgegangen bin ich von Räumen – den Gedankenräumen der Wissenschaftler. Sie müssen sich in einer neuen Welt, in einem neuen Thema zurechtfinden. Während des Arbeitens entdecken die Wissenschaftler neue Zusammenhänge durch Gespräche mit anderen Wissenschaftlern oder durch ihre Umgebung und natürlich durch die direkte Auseinandersetzung mit dem Thema. Genau so arbeite ich als Künstlerin auch: Ich bin von abstrakten Farbstimmungen ausgegangen und durch die Gespräche und Besuche am Kolleg habe ich die Ideen der Wissenschaftler, die Räumlichkeiten des Kollegs und meine eigenen Vorstellungen zu einem neuen fiktiven Raum zusammengefügt. Zusammengehalten werden die Räume durch die charakteristischen Elemente aus der Villa. Ich habe an allen Bildern gleichzeitig gearbeitet und zwischen den Themen hin- und hergewechselt. In einem späteren Schritt habe ich gemerkt, dass sich gewisse Themenbereiche überschneiden, und da habe ich begonnen, die Bilder durch gewisse Elemente zu verbinden.
Was fanden Sie herausfordernd an dem Projekt „WissensArt“, was bereichernd?
Während des Arbeitens habe ich mich zwei Dinge immer wieder gefragt: erstens, ob die Wissenschaftler sich selbst in „ihren“ Bildern erkennen und ob ich ihr Thema richtig darstelle – also, ob ihnen „ihr“ Bild somit auch gefällt. Und zweitens, ob die anderen Betrachter, die vielleicht weniger von den Themenbereichen verstehen, auch etwas in den Bildern entdecken und einen Zugang finden können. Einerseits mussten die Bilder für die „Experten“ funktionieren und anderseits aber auch für einen „Laien“, das war die größte Herausforderung. Während des Arbeitens herauszufinden, dass es gelingen kann, und zu verstehen, wie, das war für mich die Bereicherung.
Wie haben Sie das Kulturwissenschaftliche Kolleg als Ort des Forschens erlebt?
Was mich ziemlich schnell sehr beeindruckt hat, war, wie gut die Wissenschaftler bei den Arbeitsgesprächen sich gegenseitig die richtigen Fragen stellen konnten und sich dadurch gegenseitig weiterbrachten. Sie konnten sich viel schneller in den fremden Themenbereichen zurechtfinden als ich. Im Zentrum der Villa steht der Seminarraum mit dem dazugehörigen Aufenthaltsraum und der Küche. Dort finden die meisten Gespräche und der Austausch statt. In meiner Bilderreihe steht dieser Raum auch in der Mitte, auch wenn die Wissenschaftler natürlich im ganzen Haus auf verschiedenen Stockwerken zusammenarbeiten. Ihre Zimmer werden durch zahlreiche Türen verbundens und so verbinden sich auch die Themen gewisser Wissenschaftler untereinander mehr. Es entsteht also eine ganz neue, zusammenhängende Welt aus Menschen und Themengebieten und diese wollte ich durch die Reihe darstellen.
Interview mit Dr. Svenia Schneider-Wulf
Dr. Svenia Schneider-Wulf ist die wissenschaftliche Koordinatorin des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz. Sie initiierte und leitete das Projekt WissensArt in Kooperation mit der Hochschule für Kunst und Design Luzern.
Welche Idee steckt hinter dem Projekt WissensArt?
WissensArt ist an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft angesiedelt. Ich erhoffte mir, dass die künstlerische Umsetzung von neun komplexen Forschungsthemen in jeweils einem Bild einen ungewohnten Blick auf die Forschung am Kolleg eröffnen würde. Indem eine bildliche Interpretation an die Seite der ausgewählten Arbeitsvorhaben gestellt wird, können wissenschaftliche und künstlerische Perspektiven der Welterschließung in Dialog treten. Mir ging es auch darum, zur Diskussion anzuregen, nicht nur über die Inhalte, sondern auch über wissenschaftliche und künstlerische „Arbeitsprozesse“ oder Methoden der Wissensorganisation. Wann beispielsweise ist Forschung künstlerisch und wann wird Kunst zu Forschung? Welche Rolle kann Gestaltung in Wissens- und Erkenntnisprozessen spielen?
Auf Illustration, als angewandte Kunst, trifft man im wissenschaftlichen Kontext ja eher in naturwissenschaftlichen oder technischen Feldern oder auch in objektbezogenen Wissenschaften wie der Archäologie. Der Versuch der Adaption in einen kulturwissenschaftlichen Kontext hat mich daher sehr gereizt.
Als Mit-Organisatorin des Jahrgangsschwerpunkts „Öffentlichkeit und Repräsentation“ haben Sie sich intensiv mit diesem Thema aus wissenschaftlicher Perspektive auseinandergesetzt. Inwiefern hat Ihnen die künstlerische Umsetzung durch Valerie Lipscher einen neuen Zugang eröffnet?
Durch die Zusammenarbeit waren wir gezwungen, nach dem Kern des jeweiligen Forschungsvorhabens zu fragen: also zu reflektieren, was das jeweilige Projekt ausmacht, was quasi das „Kondensat“ ist, und auf diese Weise zur Forschung ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig wurde uns durch den Fokus, den Valerie für ihre Bilder selbst gewählt hat, eine andere inhaltliche Priorisierung rückgespiegelt – nicht begrifflich-argumentativ, sondern eben sinnlich. Die Forschung beginnt ja in den Bildern ein Eigenleben zu führen. Und in der Auseinandersetzung mit dieser künstlerischen Interpretation, dieser erschaffenen Welt selbst wieder neue Assoziationen zu haben, finde ich erfrischend. Zu erleben, wie das Wissen, die Diskussionen im Bild körperlich, anschaulich, quasi fühlbar werden und dadurch dann nochmal eine andere Brücke zu den Forschungsthemen zu haben. Durch ihre Entscheidung, ein Fries aus starken Einzelbildern zu gestalten, hat Valerie Verknüpfungen hergestellt hat, die natürlich auch anregen zu fragen, warum sie welche Arbeitsvorhaben nebeneinander gestellt hat, warum sie bestimmte Themen über Farbigkeiten zu Gruppen zusammenbindet. Es lädt ein über die Gesamtorientierung, die verbindende Struktur des Schwerpunktes nachzudenken, aber auch die „Ränder“ und Überlappungen der einzelnen Forschungsvorhaben zu reflektieren. Gegen Ende habe ich mich dann gefragt, ob die Illustrationen nun eigentlich ergänzend sind, quer liegen oder nicht doch einen eigenen Beitrag zum Thema „Öffentlichkeit und Repräsentation“ darstellen.
Was hat Sie an der Umsetzung überrascht?
Valerie hatte absolute Freiheit in der Umsetzung und keine Einschränkungen hinsichtlich Größe, Technik, Material oder inhaltliche Vorgaben. Es war daher spannend zu erleben, was sie an den Forschungsthemen besonders beschäftigt hat und was sie dann in ihren Bildern exemplarisch in den Mittelpunkt gestellt hat. Überrascht hat mich zunächst, dass sie den Themen ein räumliches Setting gegeben und welche Verschränkungen und Parallelitäten sie damit geschaffen hat: Der architektonische Raum gleichsam als Bild für den Gedankenraum. Die einzelnen Forschungsvorhaben erwachen in diesen Räumen repräsentiert durch symbolische Elemente zum Leben, während durch konkrete räumliche Fragmente gleichzeitig die Büros erkennbar werden, in denen die Fellows an eben diesen Vorhaben gearbeitet haben und somit wieder eine Rückkopplung an die Forschenden erfolgt.
Auch ihre Arbeitsweise fand ich faszinierend: wie sie erst einmal hintergründige Farbräume, also relativ offene Strukturen abgesteckt und diese dann immer wieder überarbeitet hat und wie sie durch immer kleinteiligeres Hinzufügen, auch durch Elemente der Collage, den inhaltlichen Detaillierungsgrad und die Komplexität immer weiter erhöht hat. Das hat mich doch sehr an die geisteswissenschaftliche Textarbeit erinnert.
Wie finden Sie das Kolleg in den Illustrationen repräsentiert?
Die am Kolleg gelebte Interdisziplinarität, die „bunte“ Vielfalt der Forschungsvorhaben, die konzentrierte Arbeitsatmosphäre, aber auch die fröhliche Muse und Leichtigkeit findet meiner Meinung nach eine wunderbare Übersetzung in der Intensität und ausdrucksstarken Farbigkeit der Bilder. Über diese atmosphärischen Aspekte hinaus ist es Valerie gelungen, in ihren Bildern nicht nur die individuellen Forschungsthemen zu illustrieren, sondern gleichzeitig eine inhaltliche und räumliche Verknüpfung herzustellen. Es hat mich beeindruckt, auf wie vielen Ebenen sie gearbeitet hat und wie das Kolleg mit seinen Standorten Bischofsvilla und Seeburg als räumliche Struktur in die Bilder über oft kleinste Details – Kacheln, Türen, Bilder, Ausblicke – hineinverwoben ist. Legt man die einzelnen Blätter als Fries nebeneinander, werden wiederum die thematischen Verbindungen zwischen den Arbeitsvorhaben in den Vordergrund gerückt. Die Bilder wirken nicht nur stark in der individuellen Darstellung eines Forschungsvorhabens sondern entfalten sich nochmal auf besondere Weise im Zusammenspiel. Darin steckt für mich im übertragenen Sinne ganz viel Kolleg, das diesen fruchtbaren Zusammenklang erst hervorbringt.
WissensArt
Die Illustrationen von Vallerie Lipscher entstanden 2018 im Rahmen des WissensArt-Projekts.
Als Bilderfries verbunden können die Illustrationen hier angeschaut werden.