Unterwegs, unser Glück zu suchen
Fortsetzung, 2. Seite
Geeint durch den Feind
Erst Fischereipiraten trieben die Fischer vor Somalia in die Piraterie.
Doch auch Vergleichbares ist auszumachen. So stellte sich kürzlich auf einem Gipfeltreffen zwischen Bush und Medwedew das vereinte Vorgehen gegen die Piraterie vor Somalia als derzeit einzige militärische Gemeinsamkeit der beiden auf einen neuen Kalten Krieg zusteuernden Großmächte heraus. Nicht viel anders war es um 1700 im Indischen Ozean, als einzig und allein die Seeräuber der „Piratenrunde“ die untereinander verfeindeten Ostindienkompanien der Engländer, Franzosen und Niederländer dazu brachten, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, um zusammen Konvoischiffe und Piratenjäger in den Indischen Ozean zu schicken.
Vor allem aber zeigen sich Parallelen darin, dass in beiden Fällen aus Opfern Täter wurden. Auf den Weg ans andere Ende der Welt machten sich viele westindische Seeleute vor allem deshalb, weil sie lange Zeit als Kaperfahrer in den Diensten der englischen oder französischen Krone gegen die Spanier gekämpft hatten, nach den Friedensschlüssen der Europäer allerdings arbeitslos und seitdem von ihren ehemaligen Arbeitgebern als Piraten verfolgt wurden. Legale Freibeuter wandelten sich so in illegale Seeräuber. Viel der heute auf Raubjagd gehenden Somalier wurden erst Piraten, als sie damit begannen, sich gegen die Plünderung der somalischen Fischbestände durch internationale Fangflotten zur Wehr zu setzen. Fischereipiraten trieben so Fischer in die Piraterie.
Piraterie als Folge von Staatszerfallskriegen
Tiefer gehende Parallelen werden jedoch erst sichtbar, wenn man beide Pirateriephänomene jeweils in einen größeren Kontext stellt. Die derzeitige Hochkonjunktur der Seeräuberei im Golf von Aden scheint zu belegen, dass die Kämpfe der ostafrikanischen Warlords und islamistischen Gruppen nicht als Staatsbildungskriege bezeichnet werden können, mit deren Hilfe diese Regionen die auch in Europa früher durch Kriege begleiteten Prozesse zur Konstituierung von Staaten einfach bloß nachholen würden.
Zu einem solchen Optimismus, wie ihn noch die westliche Dritte-Welt-Politik der 1970erJahre kennzeichnete, gibt es derzeit wenig Anlass. Vielmehr spricht einiges dafür, die Somaliapiraterie als Folge von Staatszerfallskriegen, wie Herfried Münkler sie nannte, zu betrachten. Es ist daher ein zu einfacher (Selbst-)Vorwurf, die Völkergemeinschaft habe nicht für Frieden in Somalia gesorgt. Denn genau dies ist eben solange nicht möglich, wie staatliche Strukturen fehlen, die ein politisches Gewaltmonopol garantieren.
Dauerhaftes rechtliches Wirrwarr zur See
Solche klar definierten staatlichen Gewaltmonopole waren ebenfalls nicht vorhanden, als die Meere zwischen Indien, Ostafrika und der Arabischen Halbinsel von Karibikseeräubern heimgesucht wurden. Mit der „Piratenrunde“ spülten unterschiedlichste Träger von Gewalt mit Rechtmäßigkeitsanspruch in den Indischen Ozean: staatlich autorisierte Piratenjäger wie William Kidd ebenso wie englische und französische Kriegsschiffe, die den Moguln als Seepolizei unterstellt wurden. Ganz zu schweigen von den „Roundsmen“ selbst, die zwar eher dubiose, aber dennoch vorgeblich rechtsgültige Kaperpatente amerikanischer oder westindischer Gouverneure mit sich führten.
Zusammen mit den Subjekten der persischen und osmanischen Großmächte, den europäischen Ostindienkompanien sowie den ebenfalls souveräne Herrschaftsrechte für sich beanspruchenden Angrias, die ihrerseits von den Moguln als Piraten eingestuft wurden, verwandelten sie den Indischen Ozean in einen Raum sich durchmischender und überlagernder Souveränitätsmomente und Gewaltlegitimationsansprüche staatlicher, semi- und nichtstaatlicher Akteure.
Dieser Zustand staatssouveräner Fragmentierung erzeugte eine Permanenz rechtlicher Ambiguitäten, die allein schon darin zum Ausdruck kam, dass sowohl Seeräuber wie Händler, Kaperfahrer wie Ostindienfahrer, Piraten wie Piratenjäger fast immer eine Vielzahl an Flaggen und Schiffspässen, Kaper- oder Piratenjagdvollmachten mit sich führten und je nach Bedarf einsetzten. Indem der Großmogul den Militäreinsatz der Europäer gegen die Piraten als maritime Polizeiaktion verstand, zeigt sich überdies, wie schwer in diesem völkerrechtlichen Wirrwarr innen- und außenpolitische Souveränitäten voneinander zu unterscheiden waren.
Auf eigentümliche und grotesk anmutenden Weise scheint sich diese Uneindeutigkeit zu wiederholen, wenn sich heutige Juristen darüber streiten, ob auf deutschen Kriegsschiffen Beamte der Bundespolizei mitzureisen hätten, damit somalische Räuber festgenommen werden könnten, um sie einem deutschen Haftrichter vorzuführen, der wiederum innerhalb von vierundzwanzig Stunden in den Golf von Aden eingeflogen werden müsste. Ob dies alles als Indiz dafür zu verstehen ist, dass sich hier in umgekehrter Weise zum Aufbau von staatlichen Gewaltmonopolen im 18. und 19. Jahrhundert nunmehr ein Abbau dieser Monopole abzeichnet, wird erst die Zukunft weisen.