Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Heritageization in Myanmar

Eine ethnologische Studie zu Identifikation und Kulturerbe

Dr. Felix Girke

Abstract

Das Erkenntnisinteresse des Projekts liegt auf der spezifischen Weise, wie in Myanmar heute mit Kulturerbe Politik gemacht wird. Welche Aspekte einer Jahrtausende zurückreichenden Vergangenheit eignen sich heute dazu, wahrgenommener Desintegration im Inneren sowie dem international nach langer Militärherrschaft noch immer beschädigten Ruf entgegenzuwirken? Der öffentliche, vor allem der urbane Raum ist daher durch ein Ringen um die Deutungshoheit über Zukunft und Vergangenheit geprägt.

Myanmar im Umbruch

Der Fokus der Forschung liegt auf dem urbanen Myanmar, v.a. der früheren Hauptstadt Yangon (Rangoon), die bis heute ein kosmopolitisches Zentrum ist. Das südostasiatische Land war jahrzehntelang vor allem wegen der Unterdrückung der politischen Opposition und ihrer Ikone Aung San Suu Kyi (Friedensnobelpreis 1991) international isoliert. Erst in den letzten Jahren erfolgte eine weitgehende Öffnung durch die freiwillig aus dem Amt geschiedene Militärregierung.

Der kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt Yangons steht in weiten Teilen des Umlands ein buddhistisch-geprägter Ethnonationalismus gegenüber, getragen von der Bamar-Bevölkerungsmehrheit und gestützt durch die alten militärisch-wirtschaftlichen Eliten. Religiöse und ethnische Minoritäten ringen um Anerkennung, Rechte, und ihre zukünftige Rolle im Land. Es ist seit der Kolonialzeit nicht gelungen, verbindende Elemente im Sinne einer nationalen Identität zu schaffen, die Vertrauen und Kooperation fördern.

Trotzdem ist das öffentliche Leben freier geworden. International wie auch intern wurde die politisch wie medial fest installierte Dichotomie zwischen der „(bösen) Junta“ und der „(guten) Opposition“ destabilisiert, so dass es nun zu neuen Ausdifferenzierungen des politischen Feldes kommt. Mit der Lockerung des internationalen Stigmas wird deutlich, dass ein neuer Gestaltungsspielraum und eine neue Notwendigkeit zur Selbstdarstellung entstanden, sprich, zur Darstellung von nationaler Identität, integrativer Symbolik und einem neuen Selbstverständnis. Das im Tourismussektor so wichtige branding der Destination ist heute, bald 70 Jahre nach der Unabhängigkeit vom British Empire, nur ein Element unter vielen Bemühungen, Myanmar neu zu imaginieren.

Viele gesellschaftliche Gruppen versuchen auch gegen den von der Regierung geförderten unity in diversity-Diskurs alternative Historiographien und Gesellschaftsbilder zu propagieren. Religiös, ethnisch oder zivilgesellschaftlich organisierte Akteure überlegen nun, wie jenseits einer Bamar-domininierten primär buddhistischen Gesellschaft in Zukunft Diversität gelebt und verstanden werden kann. Es zeichnet sich ab, dass Kulturerbe als geeignetes Mittel wahrgenommen wird, eigene Zukunftsmodelle zu legitimieren.

Heritage als Idiom und Praxis

Kulturerbe, verstanden als soziale Praxis, die im Rückgriff auf Vergangenes einen Weg in die Zukunft weisen soll, verspricht Akteuren auf verschiedenen Ebenen einen Königsweg zu erneuerten (und ggf. unbeschädigten) Identitäten. Neben den Gestaltungsmöglichkeiten, die sich in der oben umrissenen Umbruchzeit bieten, kommt heritage in Zeiten des Wandels eine besondere Bedeutung zu: da die Zukunft unsicher scheint, wird die Gefahr von Vergessen und Verfall akut empfunden. Vergangenheit und ihre Manifestationen in der Gegenwart werden so zu einer knappen und wertvollen Ressource, die danach verlangt, in Wert gesetzt zu werden.

Es ist unstrittig, dass heritage generell zur politischen Legitimierung und zur Förderung eines Nationalbewusstseins herangezogen wird. Doch wie wird ganz spezifisch heute in Myanmar versucht, Vergangenes persuasiv als Kulturerbe zu etablieren? Welche Akteure versuchen, diese Prozesse zu steuern, und wer ist das relevante Publikum, das von einem spezifischen heritage-Projekt überzeugt werden soll? Welche Tropen und Figuren werden bemüht, um heritage zu etablieren? Wie wird gegen heritage argumentiert? Entsteht ein kohärentes Idiom, in dem diese Debatten geführt werden? Unter Rückgriff auf Überlegungen zu Erinnerung und Gedächtnis wird ein Schritt weitergegangen: Wie werden lieux de mémoires in sozialer Praxis etabliert, wenn sozialer Wandel neue Orientierung nötig scheinen lässt? Die Beantwortung dieser Fragen beleuchtet zugleich die Verknüpfung von ökonomischen Differenzen und sozialen Hierarchien.

Als kulturelle wie ökonomische Ressource, als Eckpfeiler von nation-building und staatsbürgerlicher Erziehung, als signifikanter Faktor für Tourismus und in der globalen Aufmerksamkeitsökonomie, muss heritage als inhärent politisch verstanden werden. Der Terminus hat somit im Alltag wie in Medien nicht nur Aktualität und Präsenz, sondern auch Brisanz. Zwar stehen nicht alle heritage-Projekte stehen in Opposition zueinander. Doch ringen die beteiligten Akteure synchron um die Deutungshoheit darüber, wie das historische Feudalsystem mit seinen antiken und mystischen Wurzeln, die Kolonialherrschaft, das buddhistische Vermächtnis, die Zeiten der Militärdiktatur, die ethnische und religiöse Vielfalt, und sonstige Differenzen für die Zukunft dargestellt werden sollen.

Heritage wird so als diskursiver Rahmen verwendet, um gegenwärtige sozioökonomische und politische Umstände auf unterschiedliche Elemente von Myanmars Vergangenheit zu beziehen. Ein Teil der Attraktion dieses Begriffs und der damit assoziierten Praktiken wie Denkmalschutz, Musealisierung, Folklorisierung, Popularisierung und Dramatisierung ist seine globale Resonanzfähigkeit. Nicht nur im Land wird heritage als Argument schnell akzeptiert; auch internationale Akteure unterstützen gezielt Projekte, die sich dieses Idioms bedienen. Der global schon lange diagnostizierte heritage boom ist in Myanmar angekommen.

Heritage im hier verwendeten Sinne bezieht sich stets auf Kultur und Vergangenheit. Aber anstelle eines schlichten Rückverweises stehen heritage-Diskurs und der hier besonders fokussierte Prozess der heritageization, der Transformation von teils ganz alltäglichen Elementen in ein Anerkennung und Schutz verlangendes Erbe, in einem dynamischen Verhältnis zu den so in Wert gesetzten Vorstellungen, Objekten, Praktiken und Stätten. In der Propagierung von heritage kommen damit nie allein kulturelle Aspekte zum Tragen. Angesichts der nötigen finanziellen und oft personellen Aufwendungen und der verfolgten Repräsentationsinteressen werden in der heritage-Arena stets auch Machtverhältnisse und wirtschaftliche Interessen ausgehandelt.

Unmittelbar dem Fach Ethnologie zuzuordnen, ist das Projekt methodisch und theoretisch transdisziplinär angelegt. Die Quellenlage ist vielfältig, und verlangt historische Analyse ebenso wie synchrone Betrachtung von Interaktion und das Studium von Texten unterschiedlichster Genres. Da der Fokus auf dem städtischen Raum liegt, sind die Urban Studies ein weiteres relevantes Feld.

Anschluss an die Themen des Exzellenzclusters

Die Untersuchung von Kulturerbe verbindet die kulturellen Grundlagen von Integration mit wirtschaftlichen und politischen Interessen. Im Sinne des Clusters wird Integration hier nicht singulär als ein bestimmtes Ergebnis gesellschaftlicher Bemühungen betrachtet, sondern als ein Bündel von verwandten Prozessen, in denen Gemeinschaft und Gemeinsamkeit durch persuasive Prozesse hergestellt werden soll – wobei es zugleich zu desintegrierenden Effekten kommen kann. Besondere Nähe besteht somit zu den Themenfeldern A „Identifikation und Identitätspolitik“ sowie B „Praktiken des Wissens und Nichtwissens“.