Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Kulturelle Poetologie des Auftretens

Prof. Dr. Juliane Vogel, Prof. Dr. Christopher Wild (UCLA), Prof. Dr. David Levin (Chicago), Bernice Kaminskij, Annette Kappeler

Prof. Dr. Christopher Wild war im akademischen Jahr 2010/2011 Kollegiat des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz.
Zum Abstract seines gleichnamigen Teilprojektes, das er im Kolleg bearbeitet hat.

Abstract

Das Forschungsvorhaben versteht den Vers aus Shakespeares As you like it, “They have their exits and their entrances” als strenge formale Anweisung. Es macht sich zur Aufgabe, den Vorgang des Auftretens und Abtretens als den darstellungstechnischen Grundgestus des abendländischen Theaters und Dramas zu beschreiben. Zielsetzung ist es dabei, die konsistente symbolische Struktur, die in Shakespeares Vers zur Sprache kommt, in ihren kulturhistorischen Transformationen und Implikationen zu erkunden. Seit der Poetik des Aristoteles bilden Auftreten und Erzählen die zwei zentralen Darstellungstechniken in den Sprachkünsten, die sich einer wechselseitigen Bestimmung unterziehen. Eine kulturhistorische Theoretisierung des Erzählens kann ohne eine zu entwerfende Kulturpoetik des Auftretens nicht auskommen – und umgekehrt. Unser Projekt will die Grundsteine zu einer solchen kulturellen Poetologie des Auftritts liefern.

„Exits and entrances“ stellen dabei jedoch nicht nur theatermechanische Notwendigkeiten dar, sie geben auch in ganz grundsätzlicher und über das Drama hinausweisender Weise jene Formen und Formate vor, die das Hervortreten, Sichtbarwerden und öffentliche Sprechen von Figuren und Personen regeln. Auch außerhalb des Drama dient es dazu, soziale Situationen zu codieren, zu finalisieren und zu formalisieren, genauso wie ihr Fehlen oder ihr Unverbindlich-Werden darauf hindeutet, daß ihre symbolische Kraft zu schwinden droht. In den vom Drama entwickelten Auftrittsformen – von der Szene über den Agon, von den dialogischen Formen bis hin zur Mauerschau und dem Botenbericht - sind die Regeln impliziert, die das Erscheinen und Sich-Zeigen innerhalb und außerhalb des Theaters steuern. Gleichermaßen gewähren sie Aufschluß darüber, welchen Bedingungen sich eine Figur unterwirft, wenn sie im Kontext einer dramatischen Handlung auf die Bühne tritt. Im weitesten Sinn sollen die Verkehrformen zwischen On-Stage und Off-stage behandelt werden, die das dramatische Spiel und von ihm ausgehend auch gesellschaftliche Situationen bestimmen, sowie auch die kulturtheoretischen Implikationen des Hinein- über eine Schwelle- und auf die Bühne-Tretens, die im liminalen Charakter der Auftrittssituation angelegt sind. In diesem Zusammenhang werden wir uns auch mit den kulturtheoretischen Bedingungen des Auftretens im historischen und kulturellen Vergleich zu befassen.

Diese Fragen an den Auftritt sollen in engem Bezug zu seinen theatergeschichtlichen Realisierungen gestellt werden. So sehr der Auftritt eine symbolische Grundform sozialer Dramaturgien darstellt, so aufschlußreich ist der Blick auf die Techne, die ihn vor wechselnden historischen Hintergründen, in wechselnden theatralen Medien und in verwirklicht. Deshalb wird des darum gehen, die historischen Formsemantiken zentraler dramatischer Auftrittsformen zu untersuchen und die diskursiven Milieus zu rekonstruieren, in denen sie diskutiert, ermöglicht und transformiert werden. Ausgehend von der antiken Tragödie widmet sich das Projekt der historischen Poetologie des Auftritts im Kontext der theatralen Leitkulturen und der theatralen Medien Europas. Es will einen Rahmen erarbeiten, innerhalb dessen nach den zentralen Momenten konkreter dramaturgischer Formpraxis und ihrer szenografischen Prägekraft in Theater und Gesellschaft gefragt werden kann. Ausgangspunkt seines Interesses ist die Techne des Dramas, wie sie durch die Poetiken seit Aristoteles, durch den theatertechnischen Diskurs und durch die impliziten Dramaturgien des Dramas selbst überliefert ist. Auf diesem Weg kann die in den dramaturgischen Grundbegriffen codifizierte Formgeschichte des Dramas in ihren Grundlinien wahrgenommen und das Drama noch einmal in ganz grundsätzlicher Weise als diejenige symbolische Form gedacht werden, die das Erzählen im kulturellen Raum komplementiert und konterkariert. Ziel und Anliegen des Projekt ist die Beantwortung der Frage, wie die verschiedenen Rhetoriken des Auftritts und Erzählens zustande kommen, welche Formen sie annehmen und welche Konsequenzen sich daraus für die historischen und gegenwärtigen Praktiken der jeweiligen theatralen Formen ergeben.

Für dieses Projekt hat sich eine internationale und interdisziplinäre Forschergruppe zusammengetan, die sich ihrer Aufgabe in verschiedenen Formen annehmen will. Geplant ist einerseits die breit angelegte, interdisziplinär und transhistorisch konzipierte akademische Erörterung, andererseits die Auseinandersetzung und Kooperation mit Exponenten der gegenwärtigen Praxis auf verschiedenen Bühnen (so z. B., des Balletts, des Theaters, und der Oper) und in Video und Film. Außerdem will sie sich die Expertise der Sozialwissenschaften sichern, sofern diese über Formen und Funktionen des Auftritts in unterschiedlichen Gesellschaften Auskunft geben.

Publikation

Cover

Juliane Vogel, Christopher Wild (Hg.): Auftreten. Wege auf die Bühne. Berlin: Theater der Zeit 2014 (Recherchen, 115).

Veranstaltung

Poster

„They have their exits and their entrances“
Verkehrsformen in Drama und Theater

Konferenz, Berlin
Do–Sa, 19.–21. Januar 2012