Die Immobilienblase von Münsterburg
Fortsetzung, 2. Seite
Nach einem ergebnislosen Gerichtsprozess gibt Salander schließlich sein verlorenes Vermögen auf und zieht ein zweites Mal nach Brasilien. Der Klage Salanders, dass das gute Geld doch nicht einfach so verschwinden könne, korrespondiert die Zuversicht, das Geld „in weit kürzerer Zeit wieder einzubringen“. Es scheint auch bei Salander ein Wissen darum zu geben, dass das „Geldmachen“ nicht mehr viel mit der langwierigen Mühsal „ehrlicher Arbeit“ zu tun hat, die er ansonsten bei jeder Gelegenheit hochhält.
Salander kehrt als gemachter Mann zurück und legt sein Geld dieses Mal in Immobilien an.
Nach nur drei Jahren kehrt Salander tatsächlich als gemachter Mann wieder nach Münsterburg zurück. Sein Geld legt er dieses Mal in Immobilien an. Bei einem Spaziergang durch „abermals neu entstandene oder ausgebaute Quartiere“ versucht er vergeblich, alle Häuser zu identifizieren, auf die er „flüssiges Kapital geliehen hatte“. Er macht sich Gedanken über das „bedenkliche Umsichgreifen der Baulust, welcher er ja selbst Vorschub leistete“ und sorgt sich um die Gerüchte von einem bevorstehenden „unvermeidlichen Häuserkrach“. Salander wahrt die Ruhe dessen, der es sich leisten kann: „Mag er kommen, dachte er, ich habe nur erste Hypotheken, und ohne das: mit geflogen, mit gefangen! Man muss mit der Zeit marschieren, sie gleicht alles wieder aus“.
Was bei Salander noch sympathisch blauäugig wirkt − die Beteiligung am kollektiven Aufpumpen einer Immobilienblase, die „unvermeidlich“ wird platzen müssen −, wird bald darauf in seiner potentiell kriminellen Dimension sichtbar. In Gestalt zwielichtiger Schwiegersöhne brechen die „Uebel der Zeit“ in die Familie Salander ein. Die beiden Zwillinge arbeiten als Notare und nutzen ihre Position als „Mittelsmänner“ im Immobiliengeschäft, um sich zu bereichern. Und der Immobilienmarkt ist in Bewegung: Während sich auf der einen Seite die Kleinbauern „zur Verbesserung ihrer Kreditverhältnisse“ zu Genossenschaften zusammenschließen, fließt auf der anderen Seite in großem Umfang frisches Geld in den Markt, da „viele Kapitalisten ihr in Aktienunternehmungen angelegtes Geld nicht mehr sicher“ sehen und „gern wieder nach dem Grundbesitz“ als Anlagemöglichkeit greifen.
In diesen Bewegungen zweigt der eine Zwilling ein Vermögen ab, um „sein Glück im Börsenspiel zu versuchen“. Er beginnt schließlich, beglichene Schuldbriefe nicht zu löschen, sondern „ohne Vermerk bei auswärtigen Bankgeschäften zu versetzen“. Der andere Zwilling fertigt von jedem bei ihm hinterlegten „Kaufschuldbrief“ ein Duplikat und ein Triplikat, oder er erfindet gleich solche Briefe, um sie für sich selbst in bar zu verflüssigen. Diese „ganz in der Luft hängenden Hypotheken“ verfangen bei den Banken nur dadurch, dass die eingesetzten Personen „in guter Sicherheit dahinlebten und sich nicht auf dem Geldmarkte umtrieben“: Die Hypotheken sehen „solid“ aus und werden „von den Bankbeamten beim Anblick der darauf figurierenden Namen als gut geschätzt und belehnt“.
Es sieht so aus, als müssten die Immobilien- und Wertpapierspekulanten der Gründerzeit noch gewürdigt werden als Erfinder jener „Produktinnovationen“, mit deren Erträgen der Finanzmarkt den Wirtschaftsboom der letzten Jahre angeheizt und ausgebrannt hat.
In den Machenschaften der Zwillinge kündigen sich − im Zerrspiegel des Kriminellen − jene Praktiken an, die zur aktuellen Immobilien- und Finanzkrise geführt haben: die Zweit- und Drittverwertung von Hypotheken auf ohnehin überbewertete Immobilien; die Wechselfinanzierung zwischen Aktien- und Immobiliengeschäften, bei der die Bewertungen der Papiere wechselseitig füreinander bürgen; die Technik des Aufschubs, durch die gegenwärtige Verluste in zukünftige Gewinnchancen umgerechnet und als solche dann verbrieft werden. Es sieht so aus, als müssten die Immobilien- und Wertpapierspekulanten der Gründerzeit noch gewürdigt werden als Erfinder jener „Produktinnovationen“, mit deren Erträgen der Finanzmarkt den Wirtschaftsboom der letzten Jahre angeheizt und ausgebrannt hat.
Offensichtlich liefert der Martin Salander eine hellsichtige Beschreibung der Verlaufsform wirtschaftlicher Krisen. Der kellersche Realismus ist an der großen Wirtschaftskrise von 1873 geschult: Auch hier kam es im großen Maßstab zu Insolvenzen durchaus „systemrelevanter“ Banken und zu einem Massensterben genau jener Aktiengesellschaften, die im vorhergehenden Boom der Gründerzeit so zahlreich in die Welt gesetzt wurden; als Auslöser platzte auch damals eine gigantische Immobilienblase.
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