Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Die Immobilienblase von Münsterburg

Fortsetzung, 3. Seite

Doch die Hellsicht, die der Roman beweist, wird allenthalben getrübt durch einen anscheinend unwiderstehlichen Zug zur Moralisierung der Finanzwirtschaft und ihrer krisenhaften Erscheinungsformen. Wo in der aktuellen Finanzkrise keine ansonsten noch so nüchterne Analyse ohne Verweis auf die „Gier“ und „Zügellosigkeit“ der Manager auskommt, da geht schon Keller jede Durchsicht auf strukturelle Gründe der Krise verloren. Es können immer nur „verantwortliche Personen“ sein, die Keller für das Zustandekommen einer Krise haftbar macht. Mit der Frage nach der „Verantwortung“ jedoch verschiebt sich der Fokus in das zwielichtige Gebiet der „Ethik“, die auch in der aktuellen Krise so oft beschworen wird. Wenn aber Aufsichtsratsvorsitzende, Finanzpolitiker und Wirtschaftsjournalisten in seltener Einigkeit von der Notwendigkeit einer neuen „Ethik“ fabulieren, dann gilt es, vorsichtig zu sein.

 

Jede Krisenanalyse gerät in falsches Fahrwasser, sobald Ursachenforschung unter dem Vorzeichen der Schuldfrage betrieben wird.

Bei Keller jedenfalls zeigt sich, dass jede Krisenanalyse in falsches Fahrwasser gerät, sobald Ursachenforschung unter dem Vorzeichen der Schuldfrage betrieben wird. Wenn Keller seinen Salander in der Zeitung lesen lässt, dass „durch die mißbräuchliche und unredliche Führung ihrer Leiter ein paar Geldgewerbe ins Schwanken geraten waren“, dann geht dies zurück auf „die blinde Habsucht reicher Leute, welche ihren Ueberfluß der scheinbar glücklichen Hand solcher moralischen Tolpatsche zum Spielball überließen“. So gelungen die kellersche Formulierung nicht bei der „Gier“ der Manager stehen bleibt, sondern sich bis zur „Habsucht“ der Anleger selbst vortastet: Der Horizont letztlich moralischer Bewertungen wird nie überschritten. Und so muss schließlich auch bei Keller ein Mann aus dem Volk darüber klagen, dass am Ende doch wieder die „Staatskasse herhalten“ muss, um die Unfähigkeit der Finanzjongleure zu bezahlen.

Es macht sich in Kellers Roman der unbedingte Wille bemerkbar, zwischen einem „guten“ und einem „schlechten“ Kapitalismus kategorisch zu unterscheiden − und die Figuren des Romans werden dazu benutzt, die getroffene Unterscheidung plastisch werden zu lassen. Während in thematisch ähnlich gelagerten Werken wie dem Verlorenen Lachen oder dem Fähnlein der sieben Aufrechten noch die ehrliche Arbeit gegen die Unberechenbarkeit der Zirkulationssphäre hochgehalten wird, versucht der Martin Salander sich an dem Kunststück, einen „guten“, ehrlichen von einem „schlechten“, betrügerischen Handel abzusetzen. Auch unter gegenwärtigen Bedingungen wird ja permanent ein „guter Kapitalismus“ beschworen, der irgendwann einmal der „Gier“ der Banker geopfert wurde, oder es wird ein „eigentliches Kerngeschäft“ der Banken aus dem Hut gezaubert − dieses bestehe darin, Investitionen des deutschen Mittelstandes zu finanzieren −, das zu Gunsten schneller Renditen vergessen worden wäre.

Wenn der Kapitalismus eigentlich gut ist, dann müssen die jeweils aktuell auftretenden „Schwierigkeiten“ auf das Fehlverhalten einiger verwerflicher Subjekte zurückzuführen sein.

Wo auch immer der jeweilige Sündenfall verortet wird: Der Verdacht, dass es systemische Gründe für dessen Eintreten gibt − dass etwa auch „realwirtschaftlich“ kein Wachstum mehr zu erzielen ist, wenn dieses nicht durch jene enormen Geldsummen befeuert wird, die nur noch eine „entfesselte“ Finanzindustrie verdienen kann −, dieser Verdacht muss systematisch ausgeschlossen werden. Hier springt dann das „ethische“ Argument ein: Wenn der Kapitalismus eigentlich gut ist, dann müssen die jeweils aktuell auftretenden „Schwierigkeiten“ auf das Fehlverhalten einiger verwerflicher Subjekte zurückzuführen sein.

Porträt Gottfried Keller (Radierung)
Gottfried Keller, Radierung von Arnold Böcklin, 1889 (Quelle: Wikipedia)

Druckversion