Die Träume wandern ins Internet
Fortsetzung, 2. Seite
Politischer Aufbruch im Libanon: Die Zedernrevolution 2005
Szenenwechsel: Die libanesische Hauptstadt Beirut im Frühjahr 2005. Hier ereignet sich etwas, das beinahe die Ausmaße einer Jugendbewegung annimmt: Nach der Ermordung des Ex-Premiers Rafik Hariri gehen Hunderttausende Libanesen auf die Straße. Vor allem junge Leute sind dabei, die vom Morden des 1990 beendeten Bürgerkriegs nichts mitbekommen haben. Lautstark demonstrieren sie gegen den Einfluss der Syrer in ihrem Land, gerade die Jeunesse dorée aus der Hauptstadt skandiert „Independence 05“.
Viele Jugendliche zelten auf dem Märtyrerplatz im Zentrum Beiruts, und sie wollen nicht weichen, bevor die Syrer sich zurückgezogen haben. Für einen Moment sieht es so aus, als habe der Mord an Hariri die Libanesen vereint, als seien die Grenzen zwischen den Konfessionen mit einem Male aufgehoben und als sei die Jugend der Motor des Wandels. Von einer „Wiedergeburt der Nation“ sprechen denn auch viele euphorisch.
Drei Jahre später haben die Syrer den Libanon verlassen, aber die sonstigen Hoffnungen der so genannten Zedernrevolution haben nicht erfüllt. Im Gegenteil: Immer wieder kommt es zu Anschlägen und Konfrontationen, die politischen Vertreter der Konfessionen geraten bisweilen so sehr aneinander, dass nicht wenige einen Rückfall in Bürgerkriegszeiten befürchten.Von diesen blutigen Jahren wissen die Jugendlichen jedoch nur sehr wenig: In der Schule wird die Geschichte des Bürgerkriegs nicht gelehrt, und die Älteren reden nicht gerne darüber. Für die Historikerin Jihane Sfeir-Khayat bleibt der libanesische Konfessionalismus das Grundproblem: „Gerade in der jungen Generation sind die konfessionellen Grenzen sehr ausgeprägt. Die meisten Christen haben nichts mit Muslimen zu tun und andersherum. Und die Palästinenser bleiben sowieso völlig außen vor“, sagt sie.
Ausgeprägte konfessionelle Grenzen
„Mit Muslimen oder Palästinensern hatte ich nie zu tun“, sagt denn auch Rony Chalash aus dem Beiruter Christenviertel Ain er Rommane, der eine Ausbildung zum Automechaniker macht. Dabei hat der 17-Jährige mit den Schiiten aus den armen Vororten und den Palästinensern aus den Flüchtlingslagern vielleicht mehr gemeinsam als mit vielen reicheren christlichen Jugendlichen. Denn ebenso scharf wie die konfessionellen Grenzen sind im Libanon diejenigen zwischen Arm und Reich. Die einen schlagen sich irgendwie durch und hoffen darauf, dass die Straßen in ihren Vierteln irgendwann einmal repariert werden und der Staat Geld für die weniger privilegierten Jugendlichen bereitstellt. Die anderen stehen vor der Frage, ob sie ihr Studium in Europa oder in den USA fortsetzen und was sie bei der nächsten Party anziehen sollen.
Die elektronischen Medien sind heute das Mittel, um den Fernzielen Europa und Amerika näher zu kommen.
Der Wunsch, sich in einer freieren Gesellschaft entfalten zu können, jenseits von Konfessionsgrenzen und sozialer Herkunft, bleibt selbst im Libanon Illusion. Die Fernziele Europa und Amerika senden derweil weiter ihre betörenden Reize aus. Das Mittel, um ihnen näher zu kommen, sind heute vor allem die elektronischen Medien. In den klimatisierten Internet-Cafés der libanesischen Hauptstadt wird das Surren der Rechner nur von der kolumbianischen Popsängerin Shakira übertönt – ebenfalls Spross einer libanesischen Auswandererfamilie.
Draht in die Heimat
Sehr beliebt sind soziale Netzwerke im Internet: Auf Seiten wie „Facebook“ vernetzen sich gut ausgebildete Libanesen in virtuellen Gemeinschaften mit Abgängern ihrer Universitäten. Viele von ihnen studieren inzwischen in den USA oder haben gut bezahlte Jobs in den Golfstaaten angenommen. Das Internet ist für sie der Draht in die Heimat, wie es für die Daheimgebliebenen das Fenster zur Welt ist. Ein bisschen Politik darf online auch dabei sein: Während der mühsamen Suche nach einem neuen libanesischen Präsidenten taten die jungen Leute im Internet ihre Favoriten kund, oder sie versuchen Unterstützer für eine Petition zur Einführung der zivilen Trauung im Libanon zu gewinnen. Zumindest unter den gut gebildeten Libanesen finden sich viele, die meinen, eine Ehe zwischen Mitgliedern verschiedener Konfessionen solle erlaubt werden.