Abschieben, rückführen, protestieren – ankommen?
„Warum wird in letzter Zeit vermehrt der Begriff Rückführung gebraucht, und nicht mehr das deutlichere Abschiebung?“ fragt der Konstanzer Jurist Daniel Thym. Seine Antwort: Weil es nicht nur aus juristischer Sicht diesen Vorgang korrekter bezeichnet. Es bleibe aber ein verstörendes Spannungsverhältnis zwischen persönlicher humanitärer Ablehnung und notwendiger Rechtsdurchsetzung, das Abschiebungen innewohnt, denn die Anwendung von Zwang und Gewalt widerspreche dem Selbstbild der Gewaltlosigkeit und universalen Werten.
Die Wiener Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger berichtet aus ihrer langjährigen Forschung zur Abschiebepraxis in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seit 2010 beobachtet sie eine Ausdifferenzierung zwangsweiser Rückkehrmaßnahmen – ihre Einschätzung dazu: „Abschiebungen sind ein ineffizientes Migrationskontrollelement.“
Sie beschreibt auch, wie sich die Anti-Abschiebeproteste entwickelt haben. Sie seien unpolitischer geworden und in der politischen Mitte angekommen. Insgesamt sei die Anti-Abschiebebewegung keine transnationale oder globale, sondern eine lokale Bewegung, die vor allem auf die Verhinderung einzelner Abschiebungen gerichtet sei, weniger auf Politikreformen.
„Wird Protestkultur sich weiter tragen können, wenn die Abschiebungen vor allem an der Grenze stattfinden werden?“
Die Freiburger Ethnologin Heike Drotbohm dagegen richtet in ihren Forschungen den Blick auf die Situation in den Herkunftsländern der Abgeschobenen. Sie konstatiert, dass auf jenen das Stigma von Verlierern, gar Verbrechern (Kriminalisierungsverdacht) laste. Ihnen fehlten vor allem die sozialen Kontakte und damit die Perspektive für eine erfolgreiche Wiedereingliederung. „Die Folge von Abschiebung ist also Folgemigration.“
Ihr Fazit:
„Abschiebung ist nicht nur aus humanitären Gründen hochproblematisch, sondern auch unlogisch, unvernünftig, kurzsichtig und eine unsouveräne Art, mit einem spezifischen Problem umzugehen.“
Aber auch zu den Bedingungen einer gelungenen Rückkehr äußert sich Heike Drotbohm: Man müsse Rückkehr mehr mit Entwicklung zusammen denken, die Rückkehrer als fitte Akteure verstehen und deren Gestaltungsspielraum stärken – Rückkehr gelingt, wenn sie vorbereitet wird.
Bevor das Podium für die Diskussion geöffnet wird, berichten die Kreuzlinger Rückkehrerberaterin Sonja Zemmin und der Berliner Schriftsteller und Dolmetscher Mehdi Moradpour aus ihrer Praxis in Beratungsstellen und Heimen bzw. Abschiebelagern.
Über die Referent/innen
Prof. Dr. Daniel Thym lehrt öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und ist Ko-Direktor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht.
Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger lehrt Politikwissenschaft an der Universität Wien und erforscht seit vielen Jahren die Politik von Inklusion und Exklusion.
Dr. Heike Drotbohm ist Privatdozentin und Heisenberg-Stipendiatin am Institut für Ethnologie, Albert-Ludwigs-Universität der Universität Freiburg.
Über die Veranstaltungsreihe
Im „Foyer Forschung“ bringen der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und das Kulturwissenschaftliche Kolleg Konstanz öffentlich brisante Wissenschaftsthemen in das Foyer der Spiegelhalle. (In Kooperation mit dem Theater Konstanz)
Die Termine
Digitale Gesellschaft
Juni 2018
Autorität und Widerstand
Januar 2018
Populismus – gefühlte Demokratie?
April 2017
Tabus – unausgesprochen stark
November 2016
Abschiebung. Bewegt Menschen
April 2016