Informiert, manipuliert, polarisiert?
Foyer Forschung über politische Kommunikation in der digitalen Gesellschaft
Ein Veranstaltungsbericht von Karin Stork
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum griffen einige Gäste die Themen aus den Impulsreden der Experten vertiefend auf und gaben weitere Denkanstöße.
Wie viel darf oder sollte der Staat regulieren?
In den öffentlichen Diskursen über soziale Medien stehen oft deren potenzielle Risiken im Vordergrund. „Wir überschätzen massiv die Gefahr der neuen Medien für die Demokratie,“ meinte Jungherr. Sie ermöglichten vielmehr niedrigschwellige politische Partizipation der Gesellschaft, wie zum Beispiel Bürgerbewegungen. Schutz bedürfe es laut Schrape eher vor den „Big Five“ des Internets: Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft. Man müsse darüber nachdenken, die ökonomische Macht dieser Tech-Firmen durch die öffentliche Hand zu regulieren, so Schrape. Jungherr warf ein, dass Deutschland bisher nicht sinnvoll eingreife. „In Deutschland verschieben wir derzeit staatliche Aufgaben an Unternehmen“, kritisierte Jungherr. Er veranschaulichte seine Aussage mit einem Beispiel: Facebook-Mitarbeiter sollten nun Beleidigungen löschen – gerade jene, die an öffentliche Akteure gerichtet sind. Ein Mann aus dem Publikum gab zu bedenken, dass es solche „Gatekeeper“ schon immer gegeben habe. Auch früher seien nicht alle Leserbriefe in der Zeitung gedruckt worden. Wichtig sei, diese Selektion nicht mit eingeschränkter Meinungsfreiheit zu verwechseln.
Beherrschen Filterblasen das Meinungsbild von Social-Media-NutzerInnen?
Den Begriff „Filterblase“ hatte der amerikanische Politaktivist Eli Pariser bereits vor einigen Jahren geprägt. „Man befindet sich in einer Filterblase, wenn man in einer Informationswelt landet, in der man sich sehr wohl fühlt, weil man nur Nachrichten bekommt, die dem eigenen Verständnis entsprechen“, erklärte Schrape. Jedoch sei die Existenz von Filterblasen nicht empirisch belegt: „Dass man exklusiv nur die eigene Meinung wahrnimmt, das gibt es eigentlich gar nicht“, meinte er. Accidental learning, also zufälliger Wissenserwerb, findet laut Jungherr auch via Facebook statt: „Auch der Newsfeed kann zu accidental learning führen, wenn Facebook-Freunde an Politik interessiert sind.“ Dass Facebook Meinungen isoliere, stimme daher nicht pauschal. Eine Frau aus dem Publikum kritisierte die Definition der beiden Wissenschaftler: „Es geht doch bei der Filterblase nicht um homogene Interessengruppen sondern vielmehr um soziale Milieus.“ Jungherr stimmte ihr zu: „Viele Menschen schauen sich online nur noch einen Ausschnitt der gesellschaftlichen Meinungen an und verlieren anderen Meinungen gegenüber die Empathie.“ Jedoch handle es sich hierbei um ein soziales Phänomen und nicht um ein Problem des Internets. Und Schrape entgegnete, dass gerade das Internet die Möglichkeit biete, sich über andere Meinungen zu informieren. Jungherr ergänzte: „Früher hat man nicht mitbekommen, was bestimmte Gruppen diskutierten, aber heute durch Social Media schon.“ Dadurch kehre sich die Vorstellung einer Filterblase tatsächlich um und man erfahre mehr statt weniger unterschiedliche Meinungen: „Wir haben gerade deshalb ein permanentes Gefühl der Krise, weil wir mehr extreme Meinungen wahrnehmen können.“
Setzen sich NutzerInnen sozialer Medien der Gefahr von Manipulation aus?
Spätestens die Wahl des amerikanischen Präsidenten Trump zeigte, dass Wahlkampf auch online stattfindet. „Die USA haben viele sogenannte Bots gekauft, die im Internet für politische Parteien Stimmung machen. Bots retweeten, liken Accounts und erzeugen Nachrichten, die Tweets befeuern “, erklärte Jungherr. Können Bots in sozialen Netzwerken auch die Wahlen in Deutschland manipulieren? In Deutschland ist laut Jungherr zu wenig Geld für Wahlkämpfe vorhanden. Jedoch könne es auch hier vorkommen, dass Journalisten durch Bots auf Themen oder Posts aufmerksam und auf eine falsche Fährte gelockt würden. Journalisten müssten noch lernen, mit den Formaten neuer Medien und sozialer Netzwerke kritisch umzugehen, riet der Politikwissenschaftler. Ihre Selektionskriterien seien oft noch nicht ausgereift.
Stützen die öffentlich-rechtlichen Kanäle die Demokratie?
„Die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen haben die Finanzen, um auch kritische Berichte anzufertigen, die vom Publikum gar nicht so gewollt sind,“ betonte Schrape. Dies ermöglichte eine längere Recherche zu unterschiedlichen Themen und eine höhere Qualität der Berichterstattung. „Kann man die Einführung des Privat-Fernsehens damals mit der Einführung von Social Media vergleichen?“, fragte ein Mann aus dem Publikum. Schrape sah einige Gemeinsamkeiten: „Man muss sich erstmal auf das Neue einstellen.“ Viele Politiker hätten zu Beginn des privaten Fernsehens oft über die Stränge geschlagen, weil noch nicht klar gewesen sei, wie man sich in diesem neuen Milieu angemessen verhält. Ähnliche Grenzüberschreitungen könne man nun in den sozialen Netzwerken beobachten.
Ob in Bezug auf die Filterblase, Manipulation oder Demokratie-Gefahr – „Die Dinge waren nie so gut, wie einst erhofft, und sind heute nicht so schlecht, wie derzeit behauptet wird“, erklärte Jungherr abschließend. Inwiefern die Digitalisierung die Gesellschaft in Zukunft verändern wird, ist noch nicht absehbar. In anderen Fragen ist die sozialwissenschaftliche Forschung schon weiter, etwa was die aktuelle Erkenntnis betrifft, dass die neuen Medien keine Konkurrenz gegenüber den klassischen Medien darstellen. Laut Schrape stehen sie vielmehr in komplementärem Verhältnis zueinander.
Die ReferentInnen
Prof. Dr. Andreas Jungherr ist Politikwissenschaftler an der Universität Konstanz und untersucht die Bedeutung digitaler Medien bei Wahlkämpfen.
Dr. Jan-Felix Schrape ist Soziologe an der Universität Stuttgart und beschäftigt sich in seiner Forschung mit den Wechselwirkungen zwischen technischen Innovationen, Öffentlichkeitsstrukturen und sozialen Bewegungen.
Dr. Jasmin Siri, die die Veranstaltung moderierte, ist seit November 2017 Fellow am Kulturwissenschaftliches Kolleg Konstanz. Die politische Soziologin forscht dort zum Thema „Politische Öffentlichkeit in Gesellschaft der Computer“.
Über die Veranstaltungsreihe
Im „Foyer Forschung“ bringen der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und das Kulturwissenschaftliche Kolleg Konstanz öffentlich brisante Wissenschaftsthemen in das Foyer der Spiegelhalle. (In Kooperation mit dem Theater Konstanz)
Die Termine
Digitale Gesellschaft
Juni 2018
Autorität und Widerstand
Januar 2018
Populismus – gefühlte Demokratie?
April 2017
Tabus – unausgesprochen stark
November 2016
Abschiebung. Bewegt Menschen
April 2016