Was bewirken Kundgebungen und Demonstrationen?
Von Charlotte Krause
„Autorität und Widerstand – Von Bürgerprotesten und ihrer (Ohn-)Macht“ – so lautete das Motto einer weiteren Veranstaltung der Reihe „Foyer Forschung“ des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz.
Am Abend des 18. Januars 2018 kamen zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der Stadt Konstanz, darunter Studierende und WissenschaftlerInnen, trotz Sturmwarnung in das Foyer der Spiegelhalle und diskutierten dort: Inwiefern gestalten Proteste, Kundgebungen und Demonstrationen unsere Demokratie? Bringen sie bis dahin unbeachtete Themen in den gesellschaftlichen Diskurs ein? Welche Faktoren beeinflussen, ob eine Protestbewegung Änderungen bewirkt? Und was bedeutet es für den oder die Einzelne, eine Bürgerinitiative zu starten, was erhoffen sich die Protestierenden selbst von ihrem Protest?
Was ist ein Protest überhaupt?
Nach den einleitenden Worten von Moderatorin Katharina Bodirsky, Ethnologin an der Universität Konstanz, stellte Simon Teune, Soziologe und Protestforscher von der TU Berlin, in seinem Einstiegsvortrag klar:
„Protest ist per Definition etwas, das sich an Herrschaft orientiert. Das heißt, dass ein Protest dort entsteht, wo Macht missbraucht und Ungerechtigkeit offensichtlich wird. Im Grunde sind soziale Bewegungen daher anhaltende Interaktionen zwischen Herrschenden und denen, die ihre Herrschaft herausfordern. Dies kann man auch auf Proteste übertragen, die Herausforderungen von Herrschaft sind.“
Dabei könne das Verhältnis zwischen Herausforderern und denjenigen, die herausgefordert werden, ganz verschiedene Formen annehmen. Dies beginne bei niedrigschwelligeren Protestaktionen wie einer Petition und reiche bis zu bewaffneten Auseinandersetzungen in Form von Rebellionen.
Protest als Form der politischen Artikulation von BürgerInnen in einem Staat müsse sich, je nach Nation und Region, jedoch einer gewissen Institutionalisierung unterziehen, in der verschiedene Akteure, unter anderem Polizei und Medien, einen Einfluss auf die Erscheinungsform des jeweiligen Protests haben.
Als zweiter Referent ging Florian Peters vom Institut für Zeitgeschichte in Berlin auf den aktuellen Stand und die historische Genese der Proteste in Polen ein. Dieses Land kann als Fallbeispiel für die Wirksamkeit und damit auch die Macht und Ohnmacht von Protesten gelten. So protestierten jüngst Tausende Demonstrantinnen gegen die Bestrebungen der PIS-Regierung, das Abtreibungsgesetz weiter zu verschärfen. Mit historischen Beispielen erläuterte Peters, dass sich die politische Spaltung Polens zwischen Konservativen und Liberalen als „Erzählung“ eines Freund-Feind-Denkens im Staat selbst manifestiere, was ein Aufeinanderzugehen der beiden Gruppen erschwere.
Ist Protest nur in demokratischen Staaten möglich?
„Es ist einfacher für die Demokratie zu kämpfen, so lange es sie noch gibt. Danach wird es erheblich schwieriger.“ Mit diesem Zitat läutet Katharina Bodirsky den zweiten Teil der Podiumsdiskussion ein. Das Zustandekommen von Bürgerprotesten setzt voraus, dass die Machthaber Protestaktionen als eine Form der politischen Artikulation grundsätzlich zulassen. Zwei Momente können durch Protestaktionen ausgelöst werden, merkt Bodirsky an: Bürgerproteste könnten neue Hoffnung schaffen, wenn sie trotz repressiver Regimes zustande kommen. Sie könnten aber auch zu einem Gefühl der Hoffnungs- und Machtlosigkeit führen, wenn monatelange Proteste keine Änderung zu bewirken scheinen.
Protestforscher Teune hob hervor, dass sowohl bei autoritären Regimes als auch in Demokratien die Effektivität von Protestaktionen nicht nur von der jeweiligen Staatsform abhängig ist. Als Beispiel führt er dabei die DDR an, wo Protestaktionen in dem Sinne sehr erfolgreich waren, als dass sie das System in Frage stellten, und dennoch nicht allein den Systemwechsel hervorriefen. Die Proteste der Pegida-Bewegung wiederum bauen auf das demokratische System der Bundesrepublik – sie fordern jedoch den Abbau von demokratischen Rechten und Freiheiten, die seit dem Zweiten Weltkrieg erkämpft wurden. Auch andere Akteure, wie zum Beispiel die Medien, beeinflussten Erfolg und Misserfolg von Protesten. Dabei sei interessant, dass Bürgerinitiativen gegen Pegida medial weniger Aufmerksamkeit erhielten, obwohl sie wesentlich größer waren. Das Wechselspiel von Bewegungen, Gegenbewegungen, Staatseingriffen und Medien seien daran beteiligt, was ein Bürgerprotest letztendlich bewirke, und müssten entsprechend einzeln untersucht und bewertet werden.
Welche Erfahrungen machten Konstanzer BürgerInnen bei der Organisation von Protesten?
Dennis Jendel von der Konstanzer Fachhochschule HTWG organisierte im April 2017 gemeinsam mit dem dortigen AStA eine Demonstration in der Konstanzer Altstadt mit etwa 300 Teilnehmenden, um gegen die geplanten Studiengebühren der Baden-Württembergischen Landesregierung die Stimme zu erheben. Es habe nicht nur die Presse darüber berichtet, sondern auch Studierende anderer Hochschulen hätten beim AStA um nähere Informationen gebeten. Weitere Protestaktionen andernorts folgten, weshalb Jendel eine positive Bilanz zog.
Auch Marius Hirling und Konstantin Bätz berichteten vom Erfolg einer von ihnen im Namen der Hochschulgruppe „Amnesty International“ organisierten Kundgebung Anfang Juli 2017. Diese richtete sich gegen die Abschiebung von afghanischen Geflüchteten und ließ auch Geflüchtete selbst zu Wort kommen. Die Wirkung einer solchen Veranstaltung sei zwar schwer messbar. So kurz vor den Bundestagswahlen sei es ihnen aber wichtig gewesen, die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren, so Bätz. Die Vertreter beider Protestaktionen resümierten, dass Proteste, an denen sich verschiedene Akteure beteiligten sind, sehr aufwändig seien – aber der Mehraufwand habe sich gelohnt.
„Ohne dass die Leute sich engagieren und zeigen, dass es Widerstände gegen die Politik gibt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass überhaupt etwas passiert“, hob Simon Teune hervor. Das Publikum stellte abschließend interessante Fragen, bei denen auch lokale Konstanzer Themen zur Sprache kamen. So bot das Foyer Forschung erneut eine Plattform, in der WissenschaftlerInnen und BürgerInnen rege diskutierten und sich gegenseitig zum Perspektivenwechsel anregten.
Die ReferentInnen
Dr. Florian Peters (Berlin) ist seit September 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, Forschungsabteilung Berlin. Dort forscht er zur Erinnerungskultur und Transformationsgeschichte in Polen, insbesondere zum Kampf zwischen Solidarność und Sozialismus.
Dr. Simon Teune (Institut für Protest- und Bewegungsforschung, TU Berlin) beschäftigt sich als Soziologe in erster Linie mit sozialen Bewegungen und Protesten. Dabei interessieren ihn insbesondere die kulturelle und politische Rahmung von kollektivem Handeln.
Dr. Katharina Bodirsky, die die Veranstaltung moderierte, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind u.a. die Anthropologie des Staates und staatliche Transformationen in der neoliberalen Globalisierung in Bezug auf die EU, Deutschland, die Türkei und das Vereinigte Königreich.
Über die Veranstaltungsreihe
Im „Foyer Forschung“ bringen der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und das Kulturwissenschaftliche Kolleg Konstanz öffentlich brisante Wissenschaftsthemen in das Foyer der Spiegelhalle. (In Kooperation mit dem Theater Konstanz)
Die Termine
Digitale Gesellschaft
Juni 2018
Autorität und Widerstand
Januar 2018
Populismus – gefühlte Demokratie?
April 2017
Tabus – unausgesprochen stark
November 2016
Abschiebung. Bewegt Menschen
April 2016