Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Souveranitätsregime

Das Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten ist im europäischen Rechtsraum entstanden und mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien von den neu entstehenden Staaten übernommen worden.

Dieses Prinzip bezieht sich auf die unbeschränkte Freiheit eines Staates zur Ausübung von Hoheitsgewalt nach innen und wird flankiert vom Grundsatz territorialer Integrität, das heißt, der Freiheit eines Staates bei der Ausübung von Hoheitsgewalt von der Einmischung durch andere Staaten (Steinberger 2000).

Dieses Konzept des Völkerrechts wurde mit der steigenden Interdependenz staatlicher Gebilde zunehmend infrage gestellt. Aus der traditionellen, rein zwischenstaatlichen Perspektive lassen sich in vielen Bereichen neue Abhängigkeiten konstatieren, die mithin zu einer Relativierung bzw. Infragestellung der staatlichen Souveränität führen. Einwirkungen von anderen als nationalen Institutionen auf die innerstaatliche Rechtsetzung schlagen darüber hinaus auf die Staatsbürger des jeweiligen Staates durch. Dies ist zum Beispiel bei Ländern der Fall, die mit der Europäischen Union Handel treiben und deshalb EU-Richtlinien zu national geltendem Recht erklären. Ein Teil der Staatsgewalt wird dann nicht mehr von dem jeweiligen Staat selbst wahrgenommen, sondern ist fremdbestimmt.

In der Folge fußt die Legitimation für die Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber dem Einzelnen nicht mehr alleine auf dem jeweiligen Nationalstaat. Der Ethnologe Arjun Appadurai (2003) schildert einen parallel dazu ablaufenden Prozess, bei dem sich die Staatsbürger durch die Entstehung von translocalities von ihrer Gebundenheit an einen Staat lösen und der staatliche Souverän in diesem Zuge Teile seiner Regierungs- und Steuerungsgewalt verliert.

Forschungsprojekte

Die sich aus dieser empirischen Konstellation herleitenden Fragen der geteilten, sich überlappenden oder miteinander konkurrierenden Souveränitäten spielen in mehreren Arbeiten des Doktorandenkollegs eine wichtige Rolle.

In Katharina Meyers rechtswissenschaftlicher Dissertation wird die Problematik der Souveränität am Beispiel des internationalen Lebensmittelhandels analysiert. Sie untersucht, wie Bedienstete der Europäischen Kommission in Drittstaaten Kontrollen durchführen, um Standards der Europäischen Union zu wahren.

Die Forschung von Francesco Carloni beschäftigt sich mit Fragen der außenpolitischen Autonomie und mit Legitimitätsversuchen der zwei Hauptkontrahenten im Kalten Krieg und der involvierten „Nichtgroßmächte“. Im Vordergrund steht hier das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Selbstbestimmung einzelner Nationalstaaten und dem Prinzip des Internationalismus, welches vor allem durch die Vereinten Nationen vertreten wird.

Das ebenfalls geschichtswissenschaftlich arbeitende und interdisziplinär angelegte Projekt von Wolfgang Egner fragt nach den ideengeschichtlichen Grundlagen und der historischen Spezifität des Protektorats als Herrschaftsform. Als Protektorate werden dabei jene Gebilde verstanden, in denen die Souveränität des ursprünglichen Herrschers formell aufrechterhalten, jedoch gleichzeitig parallele Herrschaftsstrukturen aufgebaut wurden.

Auch in Estela Schindels Forschungsvorhaben zu den Aktivitäten der EU Agentur für die Koordination der operativen Zusammenarbeit an den europäischen Außengrenzen stellt die Frage nach konkurrierender und konfligierender Hoheitsgewalt. Die EU steht als supranationale Organisation nämlich einerseits den Mitgliedstaaten und anderseits den Drittländern gegenüber, die bei der Überwachung und bei Abschreckungsmanövern in den Grenzgebieten agieren.

Aus den Projekten des Doktorandenkollegs ergibt sich, dass Souveränität als Konzept für Herrschaftsgewalt nicht deskriptiv zu verstehen ist, sondern als Projektionsfläche für einen in der Zukunft zu erreichenden Zustand der Stabilisierung (Koschorke 2007). Die Frage scheint demnach geboten, warum am Souveränitätsbegriff festgehalten wird, obwohl von seinem (angeblich) absoluten Inhalt immer weniger übrig bleibt (Kokott 2004).

Die Bezugnahme auf das Individuum eröffnet eine Schnittstelle zum Themenschwerpunkt „Konstruktionen von Ethnizität, Identität und Differenz“. Staaten legitimieren ihre Rolle als Regulierungsinstanz zum Teil, um Individuen das Gefühl der Zugehörigkeit und der Identifikation zu vermitteln. Appadurai zeigt indessen auf, dass in transnationalen Zusammenhängen Loyalitätsbeziehungen entstehen können, die die Rolle des Staates als privilegierte Regulierungsinstanz in Frage stellen. Von einer klar definierten Funktionalität des Staates auszugehen, die auf dessen Souveränität fußt, verleiht einer Form des Eurozentrismus Ausdruck, der immer wieder in den Diskussionen des Doktorandenkollegs auftaucht.

Literatur

Appadurai, Arjun 2003. Sovereignty without Territoriality: Notes for a Postnational Geography, in Setha M. Low and Denise Lawrence-Zúñiga (eds.) The Anthropology of Space and Place: Locating Culture, Oxford: Blackwell.

Koschorke, Albrecht u.a. 2007, Der Fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt a.M.: Fischer.

Kokott, Juliane 2004. "Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht", Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 64 (2004), 517-533.

Steinberger, Helmut 2000. Sovereignty, Encyclopedia of Public International Law.