Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Über den Forschungsbereich

Allgemeine Fragestellung

Der Begriff der globalisierten Selbstregulierung meint mehr als das Phänomen der reinen Normgestaltung. Selbstregulierung in der transnationalen Gesellschaft beschränkt sich nicht auf die Formulierung privater Normen (normative Selbstregulierung), sondern erstreckt sich bis zur Zertifizierung der Normerfüllung (feststellende Selbstregulierung) und zur Streitbeilegung in Schieds- oder Vergleichsverfahren (konfliktlösenden Selbstregulierung). Dabei ist jedoch davon auszugehen, dass die Selbstregulierung in den genannten Bereichen nie vollständig unabhängig von der Staatsgewalt und den politischen Machtstrukturen funktioniert. Die öffentlichen Gewalten erlauben und unterstützen die konkrete rechtliche Wirksamkeit der Selbstregulierung, so dass von „regulierter Selbstregulierung“ gesprochen werden kann. Diese regulierte Selbstregulierung kann definiert werden als eine private Tätigkeit der Erstellung und Kontrolle von Normen, die von staatlicher Gewalt im öffentlichen Interesse gesteuert und kontrolliert wird.

Dabei erhält der Staat sein rechtsgebendes Monopol formal aufrecht; gleichzeitig vermehren sich jedoch gesellschaftliche Strukturen, die sich selbst regulieren und die zunehmend Funktionen übernehmen, die seit dem 19. Jahrhundert sukzessive in die Hand der öffentlichen Gewalt gekommen waren. Eine solche Selbstregulierung manifestiert sich in ganz unterschiedlichen sozialen Subsystemen und Zusammenhängen.

Beispiele

Im Bereich der neuen Technologien kann die Rolle der Internet Society (ISOC), des World Wide Web Consortium (W3C) und der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) als Beispiel dienen. Im Werbe- und Kommunikationssektor spielen die Organe der Selbstkontrolle wie die European Standards Alliance (EASA), die European Advertising Tripartite (EAT) oder die International Advertising Association (IAA) eine herausragende Rolle. Im Bereich Produktqualität und -sicherheit ragen die Organe der Normung und Zertifizierung wie das Europäische Komitee für Normung, CEN oder die International Organization for Standardization, ISO heraus. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich hinzufügen.

Einige der genannten Strukturen der Selbstregulierung haben einen ausgesprochen komplexen Charakter, da sie Normen aufstellen, denen sich sogar nicht zur Organisation gehörige Dritte unterwerfen müssen. Andere sind deutlich einfacher strukturiert, da die Organismen, die die Normen entwerfen und ihre Erfüllung kontrollieren, und die den Normen Unterworfenen klar und eindeutig identifiziert werden können, wie zum Beispiel im Falle multinationaler Unternehmen. Als dritte Gruppe existieren daneben auch Strukturen der Selbstregulierung, die man als diffus beschreiben kann, da sie nicht auf eine formale Organisation zurückgehen und ihre Normen größtenteils ungeschrieben sind. Die Normen kultureller Gruppen und Bewegungen lassen sich in dieses Schema einordnen.

Relevanz des Themas

Die Erhaltung von Ordnung und sozialem Frieden gehören zu den wesentlichen Funktionen (legitimer) staatlich organisierter politischer Herrschaft. Zu diesem Zweck greift der Staat regulierend in die Gesellschaft ein. Nach der traditionellen Lehre basierten die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft auf der Anerkennung des staatlichen Monopols legitimer Gewalt und des Monopols der Definition des öffentlichen Interesses durch die Feststellung und Anwendung von Rechtsnormen. In der Gegenwart werden jedoch diese theoretisch zwischen Staat und Gesellschaft gezogenen Grenzen an verschiedenen Stellen verwischt.

Die Partizipation der Gesellschaft bei der Definition des öffentlichen Interesses und die Übertragung genuin staatlicher Funktionen an private Subjekte und weitere mit der Selbstregulierung und Privatisierung verbundene Phänomene haben in vielen Bereichen – bei Fortbestehen des Gewalt- und Rechtssetzungsmonopols des Staates – eine Kooperationsbeziehung zwischen der öffentlichen Gewalt und den privaten Organisationen hervorgebracht.

Diese Transformation bringt wichtige Konsequenzen im Bereich der Normsetzung mit sich. Im gängigen Staatsverständnis erlaubt die grundsätzliche Trennung des staatlichen Rechtssystems von den Normensystemen gesellschaftlichen Ursprungs dem Staat die Erhaltung seines Rechtserzeugungs- und Rechtsanwendungsmonopols. Durch die stetig wachsende Zahl technischer, ethischer oder kultureller Regelungen privaten oder pseudostaatlichen Ursprungs wird dieses Monopol allerdings zunehmend in Frage gestellt. Durch im Zuge von Globalisierungsprozessen entstandene Formen gesellschaftlicher Rechtserzeugung werden gegenwärtig also die Grundlagen des Staatsverständnisses selbst fraglich.

Regulierte Selbstregulierung produziert Normen, die nach der allgemeinen Rechtstheorie keine Rechtsnormen sind. Damit ist die Frage nach der grundsätzlichen Unterscheidung dessen, was Recht ist, und dessen, was kein Recht ist neu zu stellen. Das Phänomen der Selbstregulierung zwingt dazu, zentrale Postulate der Rechtstheorie und der Rechtsquellenlehre in einem neuen Rahmen zu betrachten, zu historisieren und so für aktuelle Rechtsentwicklungen anschlussfähig zu machen.