Prag als Knotenpunkt europäischer Modernen
Forschungsverbund
Kathrin Janka, Prof. Dr. Bianka Pietrow-Ennker, Prof. Dr. Schamma Schahadat, Prof. Dr. Manfred Weinberg, Dr. Isabelle de Keghel, Dr. Irina Wutsdorff, Georg Escher, Štĕpán Zbytovský
Teilprojekte
Prag als Ghetto und Großstadt. Urbane Narrative in deutsch- und tschechischsprachigen Texten des frühen 20. Jahrhunderts. Abstract
Georg Escher
Zentrum und Peripherie, Eigenes und Fremdes im ‚Prager‘ publizistischen Diskurs der Zehner und Zwanzige Jahre. Abstract
Kathrin Janka
Abstract
Der interdisziplinäre (Germanistik, Bohemistik, Geschichtswissenschaft) und internationale Forschungsverbund Prag als Knotenpunkt europäischer Modernen bemüht sich um einen neuen Blick auf die kulturelle Verfasstheit Prags im frühen 20. Jh. Die bisherige germanistische, auf das Phänomen der „Prager deutschen Literatur“ ausgerichtete Forschung ging von einer klaren Separierung der kulturellen Sphären ‚des’ Deutschen und ‚des’ Tschechischen aus, die allenfalls durch den Verweis auf das allerdings nicht den gleichen Ordnungskriterien zugehörige Judentum komplexer wurde. Entsprechende „starke“ Grenzziehungen zeigt auch die bohemistische Forschung zur tschechischen Literatur der Zeit.
Eine klare Abgrenzung der Sphären gegeneinander entspricht, wie neuere Forschungen zeigen, jedoch nicht den historischen Tatsachen. Geschuldet war die Fehleinschätzung einer deutlich zu einfachen Vorstellung von der Strukturierung kultureller Räume und Kommunikationsgemeinschaften.
Es gilt also erst einmal, im kritischen Anschluss an Modelle z.B. des spatial turn (und deren notwendiger theoretischer Weiterentwicklung) Analysekategorien zu entwickeln, die das Prag des frühen 20. Jh.s als Ort eines spezifischen „Ineinanders“ der Kulturen beschreiben, indem man kulturelle (Selbst-)Verortungen und ihre materiellen, medialen etc. Bedingungen in ein Verhältnis zueinander bringt. Dabei werden sich die Analysekategorien auch von den expliziten zeitgenössischen Zuschreibungen abzusetzen haben, jedoch in den u.a. zu untersuchenden literarischen Texten komplexere Modelle kultureller Vielfalt aufweisen (und theoretisch fruchtbar machen) können. Dies alles wird jedoch nicht im isolierten Blick auf Prag möglich sein; dessen spezifische Transkulturalität wird sich vielmehr nur erschließen, wenn der Anschluss Prags an Entwicklungen in den anderen Metropolen Europas sowie die zugehörigen Austauschprozesse mit beobachtet werden.
Zu fragen ist nach Prozessen der Ausdifferenzierung unterschiedlicher literarischer Traditionen (in produktions- wie rezeptionsgeschichtlicher Perspektive) sowie nach der Herausbildung, Selbst- und Fremdpositionierung sowie Interaktion von unterschiedlichen Kommunikations- und Identitätsgemeinschaften in einer Stadt. Deren oft beschworene ‚kulturelle Vielfalt’ wird dabei nicht als gegebenes Faktum, sondern als sich wandelnder Effekt einer Diskursivierung verstanden, der zu unterschiedlichen Zeitpunkten vielfältige, bisweilen widerstreitende Funktionen übernehmen kann.